Für das Prequel des Überraschungserfolges Life Is Strange zeichnen nicht die Franzosen von Dontnod Entertainment verantwortlich, sondern die Amerikaner von Deck Nine. In diesem Dreiteiler, welcher sich als Vorgänger passenderweise Before the Storm nennt, dreht sich alles um die aus dem Hauptspiel bekannten Figuren Chloe Price und Rachel Amber.
Die von jedem an der Schule angehimmelte „Prinzessin“ macht nämlich gemeinsame Sache mit der Außenseiterin Chloe. Was zunächst als äußerst unpassend erscheint, soll schon bald eine tiefe Verbindung zur Folge haben, nachdem sie durch Kennenlernspiele und gemeinsames Schulschwänzen das Eis brechen und sich gegenseitig Geheimnisse anvertrauen. Auch wenn Spieler des „Sequels“ bereits wissen, wie es um die beiden stehen wird, bleibt es trotzdem spannend und interessant, was und wie genau alles vorgefallen ist.
War es im Hauptspiel noch das Umkehren der Zeit, so ist das neue Kernelement bei Before the Storm Chloes Schlagfertigkeit, die sie in Diskussionen zum Einsatz bringt. Genannt wird das dann „Widerworte-Herausforderung“ . Ziel ist es, dem Gesprächspartner gut zuzuhören und auf Schlagwörter zu achten, um hinterher eine passende Antwort auszuwählen. Mit jeder treffenden Erwiderung erhält Chloe einen Punkt, der sie weiter in die Mitte des Diskussionsmeters und somit zum Sieg im Wortgefecht bringt. Um das Ganze allerdings nicht zu einfach zu gestalten, steht der Spieler unter Zeitdruck. Außerdem kann es auch vorkommen, dass der Gegner viel weniger Punkte braucht, um das Duell für sich zu entscheiden. Eine weitere, eher unbeabsichtigte Hürde ist die weiße Schriftfarbe, die den Text vor manchen Hintergründen schwer lesbar macht. Dazu kommt noch eine mögliche Sprachbarriere: Die Charaktere unterhalten sich alle auf Englisch mit wahlweise deutschen Untertiteln. Allerdings kann eben genau das dazu führen, dass die Schlagworte im deutschen Text nicht ganz zum Gesprochenen passen. Deshalb ist fleißiges Mitlesen empfohlen, da der Ausgang dieser Wortgefechte spätere Situationen und Dialoge positiv beziehungsweise negativ beeinflussen kann.
Eines vorweg: Die in diesem Titel erzählte Story wird in gewohnt guter Qualität präsentiert und lässt den Spieler tief in die Welt eintauchen und daran teilhaben. Doch worum geht es überhaupt? Nachdem Max aus Arcadia Bay fortzog und Chloes Vater bei einem Unfall ums Leben kam, verschloss sich die Halbwaise immer mehr und hatte kaum noch Freude am Leben. Das ändert sich alles, als sie von Zuhause ausbüchst, um ein geheimes Konzert ihrer Lieblingsband zu besuchen und dabei auf Rachel trifft. Ab hier beginnt eine Geschichte über Freundschaft - und etwas, das darüber hinausgeht.
Vom Gameplay her ist Before the Storm nahezu deckungsgleich mit dem des Hauptspiels. Rätsel sind eher rar gesät und beschränken sich bisher auf „Hol- und Bring-Aufgaben“. Der Fokus liegt eindeutig auf den oben erwähnten Diskussionen und vielen Entscheidungen, die den weiteren Verlauf der Story mitbestimmen. Die Collectables, die es mit Max noch in Form von Fotografien gab, werden hier durch Graffitis von Chloe ausgetauscht. In der ersten Episode sind insgesamt zehn Plätze zu finden, die einer „Überarbeitung“ bedürfen.
Grafisch scheint sich erst einmal nicht viel getan zu haben. Der Titel macht zwar irgendwie einen besseren Eindruck, die Gesichtsanimationen zum Beispiel sind allerdings immer noch recht minimalistisch. Auch im comicartigen Cell-Shading-Look, welcher durchaus einen gewissen Charme hat, müssen diese Probleme nicht sein. Außerdem fühlt sich die Bewegung der Kamera seltsam schwammig an. Hoffentlich wird für die Fortsetzung der Hauptreihe an diesen leicht vermeidbaren Schwachstellen gearbeitet. Davon abgesehen läuft Life is Strange: Before the Storm aber angenehm flüssig und bisher ohne Ruckler oder Abstürze (PS4-Version).
Auch wenn dieser Titel zeitlich vor dem Hauptspiel angesiedelt ist, werden ihn die meisten erst hinterher spielen. Trotzdem sollte das nahezu identische Menü erwähnt werden, in welchem sich Chloes Tagebuch und Handy befinden. Die jeweiligen Einträge begleiten das aktuelle Geschehen in der Geschichte und geben zusätzlichen Input. Außerdem lassen sich Infos über alle bisher getroffenen Personen nachschlagen. Eine Übersicht über alle (noch ausstehenden) Graffitis lässt sich hier ebenfalls einsehen. Gespeichert wird wie gewohnt automatisch an vorgegebenen Punkten. Wer also Entscheidungen doch anders treffen will, hat sich darauf einzustellen, längere Passagen wiederholen zu müssen.
Antonio Moss
Deck Nine Games nimmt sich viel Zeit, die Charaktere weiter auszuarbeiten und dabei selbst bei Nebenfiguren erstaunlich weit in die Tiefe zu gehen. Ebenso wie ihr Vorbild Dontnod schaffen sie es dabei, eine ebenso spannende wie berührende Geschichte vom schwierigen Erwachsenwerden zu erzählen, die auch ältere Spieler anspricht. Mit einem sehr guten Cliffhanger wird die Spannung gelungen auf den nächsten Teil übertragen.
Mit einer Vielzahl an komplizierten, moralischen Entscheidungen sorgt auch diese Episode wieder für reichlich Gesprächsstoff und zögerlichers Mausrutschen vor dem Rechner. Obwohl der langfristige Ausgang der Geschichte bereits klar ist, nutzen die Autoren Lücken sehr geschickt aus, um bedeutsame Alternativen aufzubauen.
Die zweite Episode steht der ersten technisch in nichts nach. Sie enthält sogar mehr Schauplätze und dauert länger. Das bereits etablierte Element der Wortgefechte wurde erneut passend gesetzt und bietet eine schöne Abwechslung. Auch ein sehr leichtes Rätsel und mehrere simpel gestrickte Hol- und Bringaufgaben lockern den Spielverlauf auf. Wie schon in der ursprünglichen Serie gibt es zahlreiche Details am Wegesrand zu entdecken. Die Leistung der Sprecher ist erneut bis in die kleinsten Nebenrollen rundum perfekt, ebenso der wohl dosiert eingesetzte Soundtrack.
Die ersten beiden Teile des Prequels haben voll überzeugt, jetzt muss Deck Nine die Geschichte nur noch nach Hause fahren. Weiter spannend bleibt die Frage wie sie das schaffen – und ob sich Chloe und Max am Ende auf der Toilette begegnen.
Hans Pieper
Adventure-Treff-Verein
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