Auf fast kein anderes Spiel haben sich so viele Adventurefans in den letzten Monaten gefreut wie auf The Moment of Silence. Die ersten Infos zum Projekt gab es schon 2002, im letzten Jahr sicherte sich dann Publisher dtp die Rechte an dem deutschen Ausnahmespiel. Daraufhin machten Publisher und Entwickler den Fans große Hoffnungen, von der neuen Genre-Referenz war die Rede. Nun steht The Moment of Silence in den Läden und wir haben uns das Spiel natürlich auch angesehen. Kann es die hohen Erwartungen erfüllen oder hat man uns zu viel versprochen?
The Moment of Silence beginnt im guten alten New York. Aber keine Angst, die Stadt sieht anders aus, wir haben nämlich das Jahr 2044. Wer jetzt denkt, die futuristische Großstadt sei nicht mehr wiederzuerkennen, liegt auch daneben. The Moment of Silence zeigt eine interessante, wenn auch nicht ganz neue Zukunftsvision: Alle Länder dieser Erde sind unter einer Weltregierung vereint, es herrscht Friede, zumindest scheinbar. Heute schon bestehende Technologien wurden in den Köpfen der Entwickler weitergedacht und in das zukünftige Leben der Menschen eingebaut. Die Hochhäuser sind ein Stück höher als die heutigen, man telefoniert nicht mehr per Handy, sondern man unterhält sich per Video-Messenger direkt mit seinem Gegenüber, große Telescreens sind überall zu finden und der normale Straßenverkehr wurde durch automatische Satcars ersetzt. Keine der Technologien ist wirklich abgehoben, alles kommt einem eher wie die logische Weiterentwicklung vor. Dadurch wirkt das ganze Setting zu keiner Zeit befremdlich.
Das eigentliche Spiel startet mit einem fulminanten Intro. Peter Wright, seines Zeichens Kommunikationsdesigner, ist ziemlich durch den Wind. Seine Frau und sein Sohn sind bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Um mit dieser Tragödie fertig zu werden, hat sich Peter eine neue Wohnung besorgen lassen und die meisten seiner alten Dinge verbrannt, um nicht ständig an seine Vergangenheit erinnert zu werden. So sitzt Peter nun in seiner neuen Wohnung, ohne jeden sozialen Kontakt und nur mit dem Alkohol befreundet, als ein Sondereinsatzkommando der Polizei die Nachbarswohnung stürmt und den dort wohnenden Familienvater mitnimmt. Dessen Frau und Sohn bleiben völlig verstört zurück. Sie können sich nicht erklären, warum er verhaftet wurde. Da Peter Mitgefühl mit den Oswalds, so der Name der Nachbarn, hat, beschließt er, sich die Sache etwas näher anzusehen. Nach kurzen Gesprächen mit Mrs Oswald und der Polizei ist die Verwirrung aber noch größer: Angeblich hat es keinen Polizeieinsatz gegeben, niemand scheint etwas von dem Verschwinden des Mr Oswald zu wissen.
Die Story von The Moment of Silence hat schon fast epische Ausmaße, was sich auch in einer Spielzeit von rund 30 Stunden und mehr niederschlägt. Anfangs scheint noch alles seine Ordnung zu haben. Peter hat einen Job, eine neue Wohnung und fühlt sich ansonsten recht sicher. Nach der Sache mit seinem Nachbarn gerät er aber ins Nachdenken. Ist alles so wie es scheint oder gibt es da nicht doch ein Geheimnis, an dessen bloße Existenz zu glauben schon völlig verrückt wäre. Im weiteren Spielverlauf trifft man schließlich auf Charaktere, die die recht dunklen Vorahnungen noch weiter verstärken. Während man anfänglich noch nach Mikrowellengerichten sucht, muss man sich später mit ganz anderen Problemen auseinander setzen. Wie kann es sein, dass Menschen einfach so verschwinden? Was hat es mit den Luditen auf sich? Warum ist die Polizei hinter Peter her? Auf all diese Fragen muss man eine Antwort finden.
Nach dem Intro steht Peter vor seiner Wohnungstür. Die Aufgaben sollten eigentlich klar sein: Informationen zum Polizeieinsatz sammeln. Hier beginnt der erste Spielabschnitt und es wird sofort offensichtlich, was man in den nächsten Stunden vorrangig macht: Reden, reden und reden. Wie schon bei Black Mirror geht es nach einem spannenden Intro erst einmal wieder etwas ruhiger zu. Der Spieler muss in das Universum von The Moment of Silence eingeführt werden. In den Gesprächen erfährt man viel über Peter selbst, über seine Arbeit bei der Werbeagentur aber natürlich geht man in erster Linie auf die Suche nach Informationen rund um Mr Oswald. Man erfährt zum Beispiel, dass er freier Journalist war und an einer seltsamen Story gearbeitet hat, die ihm, allen Anschein nach, schwer zu schaffen gemacht hat.
Nachdem man sich ausführlich mit Deborah Oswald und deren Sohn Tommy unterhalten hat, stehen einem weitere Locations zur Verfügung. Da wäre zum einen der Kioskbesitzer Bob, der immer auf dem neusten Stand ist und bei dem sich ein Besuch jederzeit lohnt. Im Brooklyn-Park hinter Bobs Kiosk kann man dann auf ein paar interessante Gestalten treffen. Oder man begibt sich zu Peters Arbeitsplatz. Natürlich kann man auch da den netten Kollegen ein paar interessante Neuigkeiten entlocken.
Aber auch über Peters Privatleben wird anfänglich die ein oder andere Silbe verloren. Die Kollegen sind besorgt, bieten Peter Hilfe an. Überhaupt sind die Figuren in The Moment of Silence sehr menschlich. Das ist in erster Linie ein Verdienst der fantastischen Synchronsprecher. Die beiden Hauptdarsteller, Peter Wright und Deborah Oswald, machen wirklich schwere Zeiten durch. Und genau das bringen die deutschen Stimmen von Peter, Manfred Lehmann (u.a. Bruce Willis) und Deborah, Daniela Hoffmann (u.a. Julia Roberts), perfekt rüber. Man empfindet Mitleid und ist vom Schicksal der Beiden wirklich betroffen.
Publisher dtp hat im Vorfeld The Moment of Silence als FarCry des Adventuregenres bezeichnet. Ist das Spiel also das bisher schönste Adventure? Klare Antwort: Nein, Spiele wie Syberia 2 haben, zumindest in Sachen Grafik, die Nase vorn. Was man über die Grafik allerdings sagen kann: Sie ist voll auf der Höhe der Zeit. Wunderschön detaillierte Hintergründe treffen auf gut animierte, wenn auch etwas detailarme Charaktere. Die verschiedenen Locations wurden außerdem mit etlichen Effekten zusätzlich belebt. Animiertes und sich spiegelndes Wasser oder beim Aufprall auf den Boden zerplatzende Regentropfen, unbelebt wirken die Locations zu keinem Zeitpunkt. Höhepunkt ist dabei sicher die Raumstation Lunar 5. Solch detaillierte und vor allem reichlich animierte Schauplätze trifft man in einem Adventure sehr selten. Ebenfalls besonders hervorzuheben sind die Zwischensequenzen. Erstellt von The Lightworks, bekannt aus Spielen wie Star Wars: Rebel Strike, zählen diese zur absoluten Genrereferenz. Die Videos treiben die Story maßgeblich voran und fesseln den Spieler vor den Bildschirm. Insgesamt ist die Grafik sehr gut, die nicht ganz perfekten Charaktere und einige kleinere Grafikfehler bringen leichte Abzüge. Letzere werden aber hoffentlich mit dem bereits angekündigten Patch behoben.
The Moment of Silence verwöhnt das Ohr des Zuhörers wie bisher kein zweiter Titel. Da sind zum einen die wirklich genialen Synchronsprecher, die ihr Handwerk blendend verstehen. Nicht eine Rolle im ganzen Spiel hört sich schlecht synchronisiert an, was bei einer Sprachausgabe von sieben Stunden Länge ein kleines Wunder ist. Publisher dtp und Entwickler House of Tales haben einen enormen Aufwand bei der Vertonung betrieben und genau das bekommt der Spieler auch zu spüren. Die Sprecher hauchen den Figuren eine eigene Persönlichkeit ein, sie machen sie lebendig. Gerade bei einem storylastigen Adventure ist eine gute Synchro Pflicht und The Moment of Silence definiert den Begriff gute Synchro völlig neu. Kommende Adventures müssen sich mit dieser herausragenden Vertonung messen lassen.
Aber auch bei der musikalischen Untermalung lässt das Spiel die Muskeln spielen. Hierfür wurde extra die Firma Dynamedion, bekannt durch die Vertonung von Spielen wie Spellforce, Söldner oder Castle Strike, verpflichtet. Auch wenn die Musik meistens nur an bestimmten Stellen zur musikalischen Untermalung benutzt wird, ist sie trotzdem, oder gerade deshalb, absolut stimmig und trägt viel zur fesselnden Atmosphäre bei.
House of Tales hat bei den Rätseln eine stetig ansteigende Lernkurve versprochen und dieses Versprechen auch wirklich gehalten. Ist man anfänglich noch meistens mit der Suche nach Informationen und der Erledigung kleinerer Gefälligkeiten beschäftigt, so werden mit zunehmender Spieldauer die Rätsel immer kniffliger. Auch für den Abwechslungsreichtum der Rätsel ist gesorgt, von Kombinationsrätseln bis Dialog- und Maschinenrätseln ist alles in ausreichender Zahl vertreten. Der Gesamtschwierigkeitsgrad von The Moment of Silence bewegt sich zwar nicht auf den höchsten Ebenen, einige Rätsel sind vielleicht ein wenig zu einfach, aber dadurch entstehen niemals wirkliche Frustmomente. Keine Angst, House of Tales hat auch den ein oder anderen Hammer eingebaut. So etwa das Fahrstuhlrätsel auf der Bermuda-Plattform oder aber das Schlussrätsel. Bevor man nämlich eine der beiden Endsequenzen sieht, muss man sich nochmal gewaltig ins Zeug legen. Alles in allem sind die Rätsel aber durchweg logisch und wunderbar mit dem Spielgeschehen verknüpft. Gerade bei den Rätseln hat sich House of Tales die Kritik an ihrem letzten Adventure, Das Geheimnis der Druiden, zu Herzen genommen und enorme Verbesserungen erzielt.
Kommen wir zur Atmosphäre. Und die ist, wenn ich es mit einem Wort ausdrücken müsste: Genial. Autor Martin Ganteföhr hat eine extrem spannende Hintergrundgeschichte konstruiert. Die Musik, die Sprecher, die Videos, die Grafik, all das wurde zu einem großen Ganzen geformt. Die Geschichte von The Moment of Silence reißt einen mit, man muss immer mehr wissen, kann gar nicht mehr aufhören. Wie geht es weiter? Was steht hinter all den seltsamen Ereignissen? Was wurde aus Mr Oswald und was geschieht mit Peter? Der Spieler versinkt regelrecht im Jahr 2044, kann gar nicht mehr aufhören zu spielen.
Die Geschichte baut sich dabei anfänglich recht langsam auf. Man muss mit Peter schon einige Locations besucht haben, um zu bemerken, dass etwas nicht stimmt. Aber irgendwann darf man ihn dann erleben, den Moment der Stille. Nach durchschnittlich 30 Stunden Spielzeit sicherlich ein erhabenes Gefühl. Zusammen mit der fantastischen Sounduntermalung ist die Atmosphäre DER größte Pluspunkt bei The Moment of Silence.
Aber The Moment of Silence hat auch seine Schattenseiten. Die kleineren Grafikfehler haben wir schon angesprochen. Das ist sicher etwas, das man mit einem Patch beheben könnte. Was den Spielspaß jedoch stellenweise beeinträchtigt, ist die Steuerung. Normalerweise muss man bei Point&Click nichts allzu schlimmes befürchten. Scheinbar will uns The Moment of Silence aber genau das Gegenteil beweisen. Peter torkelt manchmal unkontrollierbar durch die Locations, die Wegfindung ist dabei teilweise grauenhaft. Außerdem kann sich der Herr dabei scheinbar nicht frei bewegen, er läuft wie eine Maschine stur auf einer imaginären Schiene.
Ist es bei Adventures normalerweise üblich, durch das bloße Ansteuern des Bildschirmrandes den Wechsel zum nächsten Screen herbeizuführen, so muss man bei The Moment of Silence genau auf den Ausgang klicken. Da der Mauszeiger dabei jedoch nicht, wie etwa bei Runaway, die Form verändert, ist dieses Unterfangen viel zu umständlich geraten. Manchmal kann man einen Screen nur verlassen, wenn man so lange alles anklickt, bis Peter sich endlich in Bewegung setzt. Gerade in Gebäuden ist dies extrem frustrierend. Die plötzlichen Kameraschwenks sorgen außerdem dafür, dass man in bester Grim Fandango-Manier ab und zu in die ganz falsche Richtung läuft. Damit die Steuerung nicht zum totalen Ärgernis verkommt, hat House of Tales ein nettes Feature eingebaut: Mit Hilfe der H-Taste kann man sich alle möglichen Ausgänge anzeigen lassen. Netter Nebeneffekt: Wenn man die Taste länger als drei Sekunden drückt, werden zusätzlich alle möglichen Hotspots eingeblendet, die nervende Pixelhunterei entfällt. Das vermeidet eine Menge Frust, verhilft der Steuerung allerdings nicht aus der Mittelmäßigkeit. Ansonsten bleibt alles wie gehabt, die linke Maustaste ist die Aktionstaste, mit der rechten können Dinge untersucht oder kommentiert werden. Eine Mausfahrt an den unteren Bildschirmrand ruft das Inventar auf, die Esc-Taste öffnet das Menü.
Schade ist jedoch, dass die Entwickler bei der Steuerung so geschludert haben. Dadurch kommt es zu einem unschönen Kratzer in der ansonsten so makellosen Spielfassade.
House of Tales hat fantastische Arbeit geleistet. Mit The Moment of Silence können wir endlich wieder ein richtiges Highlight verbuchen, das Vergleiche zu den alten Genregrößen nicht scheuen braucht. Angefangen mit der schönen Grafik und den herausragenden Zwischensequenzen, dem tollen Sound, den guten Rätseln und der wunderbaren Atmosphäre, muss man einfach sagen: Dieses Spiel ist eine Wucht, nur die vermasselte Steuerung und ein paar kleine Bugs hinterlassen einen leicht bitteren Nachgeschmack und kostet letzten Endes ein paar Prozentpunkte.
Für mich steht jedenfalls fest: The Moment of Silence ist das beste Adventure seit vielen Jahren. Ein absoluter Pflichtkauf für jeden Adventurefan und, bedingt durch den leichten Einstieg, auch für diejenigen geeignet, die es noch werden wollen. Können wir bitte mehr davon haben?!?
An House of Tales: Vielen Dank für dieses tolle Spiel. Ich habe mir die Nächte mit Peter um die Ohren geschlagen und wurde dabei so wunderbar unterhalten. Solch einen Suchteffekt habe ich seit Grim Fandango nicht mehr erlebt. Nur über die Steuerung sollten wir noch mal reden. Bleibt dieser Linie treu und euer nächstes Adventure wird ein noch größerer Hit als The Moment of Silence. Ganz sicher.
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