Es ist kein Geheimnis, dass es schwer geworden ist, Publisher davon zu überzeugen, viel Geld in Entwicklung und Vertrieb eines Adventures zu stecken. Andere Genres versprechen einfach mehr Einnahmen. Deshalb kann man in den letzten Jahren immer mehr kleine Entwicklerteams beobachten, wie sie unabhängig von größeren Geldquellen und mehr oder weniger professionell Adventures entwickeln und ausschließlich im Internet vertreiben. Manche werden dann in episodenform veröffentlicht, wie z.B. AGON oder Delaware St. John, andere werden am Stück fertig gestellt und veröffentlicht.
Auch Scratches hat als ein solches Projekt der zwei argentinischen Freunde Augustin Cordes und Alejandro Graziani angefangen. Doch den beiden gelang, was vielen anderen nicht gelungen ist: sie konnten Publisher davon überzeugen, das Spiel auch in die Läden zu stellen. Hierzulande ist es rondomedia, die das Spiel lokalisiert haben und jetzt für günstige Preise um die 25 Euro vertreiben. Wir haben uns das Spiel genauer angesehen...
Der Spieler übernimmt die Rolle des Romanautors Michael Arthate, der gerade in einer Schreibkrise steckt, weil ihn die Inspiration verlassen hat. Deswegen hat er den befreundeten Makler Jerry gebeten, für ihn ein Haus etwas abseits des geschäftigen Stadtlebens zu erwerben, in dem er sich ganz auf sein aktuelles Werk konzentrieren kann. Scratches beginnt mit der Ankunft in dem alten, viktorianischen Haus, das eine Grundsanierung bitter nötig hätte. Deswegen bestehen die ersten Aufgaben auch darin, sich dort einzurichten und die ausgefallene Stromversorgung auf Trab zu bringen. Dabei lernt man schon früh den Großteil des Hauses und damit einen wesentlichen Teil der gesamten Spielwelt kennen.
Mit der Zeit erfährt man immer mehr Details aus der mysteriösen Vergangenheit des Hauses: In den 60ern wohnte dort das angesehene Blackwood-Ehepaar, bis Catherine plötzlich eines geheimnisvollen Todes stirbt. Ihr Mann James T. Blackwood wird des Mordes bezichtigt, stirbt aber bald darauf selbst. Herzinfarkt? Auch einem Freund der Familie, der von da an das Haus bewohnt, ergeht es nicht besser. Nach 11 Jahren verschwindet er spurlos. Durch jede Menge im Haus verstreute Tagebuchfragmente, Briefe, Mitteilungen und andere Hinweise erfährt man Stück für Stück, was sich in den vergangenen 20 Jahre in dem Haus zugetragen hat. Dabei wird der Spieler lange im Unklaren darüber gelassen, ob sich alle Geschehnisse rational erklären lassen oder ob ein übernatürlicher Fluch sein Unwesen in dem verfallenen Gebäude treibt. Und damit ist auch schwer zu sagen, in wie großer Gefahr sich der Spieler selbst befindet...
Die größte Stärke von Scratches ist die bedrückend unheimliche Atmosphäre, das Spiel mit der Angst. Trotz der ständig im Raum stehenden möglichen rationalen Erklärung ist das Gebäude so schaurig in Szene gesetzt, dass es den zarter besaiteten Spielern desöfteren Überwindung kosten wird, weiter zu spielen. Selbst tagsüber - das Spiel umfasst 3 Tage und 3 Nächte - sind die Zimmer mangels Strom in Dunkelheit getaucht, draußen tobt zeitweise ein Unwetter und die beklemmende Soundkulisse sorgt für Gänsehaut-Stimmung. Ein Maxiumum an Gruselstimmung erreicht das Spiel, wenn man nachts unerklärlichen Kratzgeräuschen nachforscht, den extradüsteren Keller absucht oder diverse Geheimräume entdeckt - trotz geringer Menge an Schockeffekten. In dieser Hinsicht schlägt Scratches alle möglichen Konkurrenten problemlos.
Doch bei aller Gruselatmosphäre sollte dahinter auch ein gutes Spiel zu finden sein, und da macht Scratches leider viele Fehler. Das häufigste Problem ist wohl, dass oft nicht klar ist, was man überhaupt machen soll. Immer wieder gibt es im Spiel Telefongespräche mit Makler Jerry, die jeweils das nächste Minikapitel einleiten. Das nächste Gespräch wird erst dann freigeschaltet, wenn etwas bestimmtes erledigt wurde. So wird der Spielablauf nicht nur in eine sehr lineare Form gepresst, sondern auch der Spieler ins kalte Wasser geworfen. Der bekommt nämlich eher selten klar gesagt, was er nun zu tun hat.
Beispiel: Um für etwas Licht zu sorgen beauftragt Jerry Michael damit, irgendwo im Haus Kerzen aufzutreiben. Erst wenn drei bestimmte Stellen abgesucht wurden kann man Jerry anrufen und so den nächsten Abschnitt einläuten. Wo diese Stellen sind, wird aber nicht gesagt - selbst dann nicht, wenn man sie schließlich gefunden hat. Und so läuft man im wesentlichen das gesamte Haus ab, um festzustellen, dass keine Kerzen zu finden sind. In vielen Szenen läuft man ähnlich ziellos durch das Haus und dessen Umgebung, ohne zu wissen, wo das nächste Rätsel wartet. Das mag zwar zur Situation von Michael Arthate passen, der nicht so recht weiß, was das Haus vor ihm verbirgt, Spaß macht das aber trotzdem nicht.
Auch die Rätsel leiden unter dieser Informationsarmut. Hinter einem ordentlichen Teil der Rätsel steckt zwar eine gute Idee, doch ohne zu wissen, was getan werden soll, sind diese desöfteren frustrierend und unfair. Dazu kommt, dass viele Objekte sehr subtil versteckt sind, sicher zu subtil für so manchen Geschmack. Die Spieldauer ist folglich davon abhängig, wie tapfer man der Versuchung einer Komplettlösung widersteht. Die geduldigeren Gemüter können sich sicher 10 Stunden mit dem Titel beschäftigen, viel mehr Stoff als für 5 Stunden ansprechendes Spiel enthält Scratches aber nicht.
Ein weiteres, aber eher verschmerzbares Manko, ist die Steuerung. Scratches spielt man aus der Egoperspektive. Anders als üblich verändert sich der Blickwinkel aber erst, wenn man mit der Maus den Bildschirmrand erreicht. Das führt zu extrem langen Mauswegen, was die Hand mehr als üblich beansprucht. Man gewöhnt sich zwar daran, eine weniger anstrengende Handhabung wäre aber begrüßenswert gewesen. Immerhin kann unter zusätzlicher Zuhilfenahme der Tastatur mache Drehung etwas beschleunigt werden.
Abgesehen von der Navigation lässt sich Scratches gut bedienen. Das Inventar ist per Rechtsklick schnell erreichbar, mit einem Linksklick interagiert man mit der Umgebung. Der Mauszeiger deutet dabei jeweils an, was an einer bestimmten Stelle getan werden kann.
Technisch kann Scratches naturgemäß nicht mit den ganz großen mithalten, für ein 2-Mann-Team hat Nucleosys aber Beachtliches geleistet. Die Rundum-Hintergründe des dreistöckigen Hauses und dessen Umgebung (inklusive Gruft und Kirche im Garten) sind ordentlich gerendert und zeigen, wenn auch leicht unscharf, so manches Detail. Beim öffnen von Türen wird regelmäßig eine kurzer Film angezeigt, in dem sich die Tür einen Spalt weit öffnet. Sonst zeigt sich Scratches aber leider sehr starr. Von den Zwischensequenzen abgesehen - und neben den Türfilmchen sind das recht wenige - bewegt sich im Haus so gut wie gar nichts. Selbst das Wasser im Brunnen und das Feuer im Kamin wird nur durch Standbilder dargestellt. Nur den prasselnden Regen kann man ab und zu aus dem Fenster sehen.
Nahezu perfekt ist dagegen die Soundkulisse, die die unbehagliche Umgebung gruseligstmöglich in Szene setzt. Leise flüstert der Wind durch das marode Gemäuer, durch die unheimliche Stille dringt das auffällige Ticken der großen Standuhr und gelegentlich tragen musikalische Themen situationsabhängig den Spieler durch das Haus. Und dann ist da nachts dieses schwierig zu ortende Kratzen, das dem Spiel seinen Namen gab. Die passende und geschickt eingesetzte Musik wurde von Cellar of Rats beigesteuert.
Bei der Sprachausgabe war man leider etwas sparsamer: zwar sind die Rollen sehr gut vertont, was bei einer toneworx-Lokalisation und Sprechern wie Marcus Off, der als Stimme aus einigen Hollywood-Produktionen und als Schauspieler z.B. aus der Lindenstaße bekannt ist, nicht verwundert. Gesprochen werden jedoch nur tatsächliche Gespräche, die ausschließlich über das Telefon stattfinden. Sämtliche Kommentare zur Umgebung und andere Gedanken von Michael müssen vom unteren Bildschirmrand abgelesen werden. Die Übersetzung ist gelungen. Auch die vielen grafischen Texte auf den verstreuten Dokumenten sind in die deutsche Sprache übertragen worden, auch wenn sie ebenfalls nicht vorgelesen werden.
Den geringen Umfang und die nur auf Standbildern halbwegs überzeugende Grafik kommen angesichts des winzigen Entwicklerteams nicht wirklich überraschend und lassen sich auch ob des fairen Marktpreises von ca. 25 Euro verschmerzen. Spielerisch leistet sich Scratches leider einige Schnitzer, die man hätte vermeiden können. Trotzdem: wer sich einmal richtig gruseln möchte, der ist mit Scratches besser bedient als mit allen anderen aktuellen Adventures, denn in dieser Hinsicht hat Nucleosys wirklich ausgezeichnete Arbeit geleistet.
Ich gehöre normalerweise nicht zu der Art Mensch, die besonders schreckhaft ist oder leicht zu gruseln ist. Nach einer Partie Scratches nachts um 3 Uhr, ohne Lichtquelle, bei angemessener Lautstärke hat dann aber dann auf dem Weg zur Toilette auch mich ein mulmiges Gefühl beschlichen. Das hatte ich zuletzt bei Alone in the Dark - und da hatte ich gerade erst ein zweistelliges Alter erreicht. Mission erfüllt, kann man da sagen. Leider bietet Scratches spielerisch zu wenig, um wirklich begeistern zu können.
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