Anzeige
  • Tests
  • The Book of Unwritten Tales

Test

von  Mithrandhir
19.04.2009
The Book of Unwritten Tales
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch
90%

Viel hat sie bisher nicht zeigen können, die Softwareschmiede King Art aus Bremen. Dem ein oder anderen ist der Name vielleicht noch im Zusammenhang mit Simon the Sorcerer 4 oder den Anfängen zu Black Mirror 2 im Gedächtnis geblieben.

Um so ambitionierter klingt es, wenn man sich die bisherigen Ankündigungen anschaut: Eine verrückte Fantasy-Welt, ein Multi-Character-Gameplay, über 60 Schauplätze und eine hollywoodreife Vertonung sind nur einige der Dinge, die The Book of Unwritten Tales einen Platz in der Oberklasse bescheren sollen.

Eine Saga von Licht und Schatten

Es ist der ewige Kampf zwischen Gut und Böse: Die Allianz der freien Völker ringt viel zu lange schon mit den Streitkräften der Schattenarmee und es scheint, als wäre kein Ende in Sicht. Ausgerechnet ein alter Gremlin-Archäologe stolpert eines Tages über Hinweise, die zu einem mächtigen, womöglich kriegsentscheidenden Artefakt führen sollen. Kaum ist diese Entdeckung gemacht, sind auch schon Agenten des Dunklen unterwegs, dieses Artefakts habhaft zu werden.

Eile ist geboten, doch gelingt es nicht, tapfere Recken auf den Weg zu schicken. Das Schicksal der Allianz liegt nun in der Hand derer, die rein zufällig in diese Mission hineinstolpern: Drei völlig unterschiedliche Helden, die bis kurz zuvor noch gar keine Helden waren…

Sagenhaft schön, diese Welt

Die Artworks ließen es bereits erkennen: Der Grafik widmeten die Entwickler viel Zeit. Die verwendete OGRE-3D-Engine lässt die schön gerenderte 2D-Kulisse, welche an vielen Stellen noch mit handgezeichneten Elementen veredelt wurde, und die 3D-Charaktere in einer wahren Pracht erstrahlen, die mit Echtzeit-Schatten, Antialiasing und einem Partikelsystem aufwarten kann. Zusätzlich finden sich in vielen Umgebungen 3D-Objekte, die besonders vor den mehrstufigen Hintergründen plastisch wirken.

Der Fantasy-Comic-Stil ist detailliert, verspielt und wirkt in jedem Szenario stimmig ausgeleuchtet und eingefärbt. Dabei darf es an Bewegung nicht fehlen: Jede Umgebung wurde mit Liebe zum Detail belebt – Lichter funkeln, Insekten tanzen, Schnee fällt und Laub wiegt sich im Wind.

Auch die Mimik der Charaktere offenbart große Sorgfalt: Je nach Stimmung oder Tonlage werden Handlungen oder Kommentare mit einem traurigen, frohen oder angewiderten Gesichtsausdruck gewürzt, der neben der Lippensynchronität deutlich zur Glaubwürdigkeit der Figuren beiträgt. So verzieht unser Gnom-Held Wilbur angeekelt die Mundwinkel, als er mutierten Schleim aus einem Kochtopf fischen soll und nickt eifrig, wenn er in einem Dialog etwas verstanden hat oder Zustimmung zeigen will. Etwas schade: Die meisten Effekte dieser Art finden sich bei dem Gnom; die beiden Mitstreiter Ivo und Nate wirken im Gegensatz dazu etwas blasser. Auch bei vielen Nebendarstellern im Spiel wurde versucht, über Gestik und Mimik ein wenig mehr Leben einzuhauchen - die leicht depressive Stimmung von Gevatter Tod läßt sich schon sehr gut an Haltung und Gesichtsausdruck wahrnehmen.

Auch die Bewegungen wirken flüssig und geschmeidig und sind passend auf die Eigenschaften des jeweiligen Charakters abgestimmt. Während Wilbur ob seiner geringen Körpergröße putzig daherstapft und für höhere Objekte auch gerne mal etwas klettert, bewegt sich Elfe Ivo anmutig und mit grazilem Hüftschwung durch die Welt. Bei Auflösungen bis 1920x1200 Pixel zaubert King Art wahrlich eine Traumwelt auf den Monitor, die lediglich durch die etwas verwaschenen Zwischensequenzen getrübt wird – diese hätten ruhig anspruchsvoller gerendert sein dürfen.

Klänge aus einer anderen Welt

Die akustischen Reize von The Book of Unwritten Tales stehen den visuellen in nichts nach. Die Hintergrundmusik ist der Fantasy-Welt angemessen und wechselt je nach Szenario. Dabei sind Lautstärke, Varianz und Stil perfekt auf die jeweilige Situation abgestimmt. Der Kopf hinter dem professionellen Soundtrack ist Benny Oschmann, der rund 40 Tracks zum Spiel komponierte und unter anderem auch eine Melodie-Adaption von "In der Halle des Bergkönigs" bietet.

Bei der Sprachausgabe wird ebenfalls nicht gekleckert: Die gut 20 Stunden Sprachausgabe werden unter anderem von bekannten Sprechern wie Oliver Rohrbeck (Ben Stiller, Die drei ???), Dietmar Wunder (Christian Bale) und Thomas Danneberg (Arnold Schwarzenegger) geleistet, wobei neben der Qualität der Sprecher auch die Charakteristik der Figuren vortrefflich gelungen ist. Ebenfalls positiv ist, dass die vielen bekannten Stimmen nicht mehrfach zum Einsatz kommen und sich somit gut zum Gesamtbild eines einzigen Charakters fügen.

Bei den Dialogen ist zu beachten, dass die zu Verfügung stehenden Antworten lediglich den Tenor bzw. die Sinnrichtung der möglichen Antwort darstellen. Die Spielfigur sagt also nicht exakt das, was dort steht.

Beweg mich, sonst schiele ich für dich

Die Handhabung im Spiel ist eher klassisch gehalten und bietet mit Point-and-Click-Steuerung und Lupen- bzw. Handsymbol keine Überraschungen. Die Hot-Spot-Anzeige ist natürlich auch vorhanden und zeigt alle anklickbaren Objekte im Spiel. Etwas störend: Einmal mit Linksklick auf den Weg zu einem Objekt gebracht, ist die Spielfigur nicht mehr von Selbigem abzubringen – ein weiterer Klick an eine andere Stelle bringt gar nichts. Erst nach einem kurzen Satz, der sich natürlich auf Wunsch auch abbrechen lässt, geht es dann weiter.

Das Inventar ist recht unauffällig gehalten und kommt ohne farbigen Balken oder Trennung vom Hauptbildschirm aus: Sobald die Maus an den unteren Rand bewegt wird, erscheinen auf transparentem Hintergrund die gesammelten Objekte. Leider ist die Auswahl und Navigation manchmal etwas hakelig, da eine Mausbewegung zum nächsten Gegenstand wechselt und diesen vergrößert darstellt. Das Kombinieren zweier Objekte kann da schon etwas dauern. Ein nett gemeintes Feature im Spiel bemerkt man erst, wenn man die Spielfigur einfach mal eine Weile untätig stehen lässt. Nach kurzem Nasenbohren schaut sich zum Beispiel Wilbur ein wenig in der Gegend um und fixiert mit seinem Blick die für die Lösung interessanten Hot-Spots. Im Spielverlauf zahlt sich diese Funktion jedoch nur selten aus und macht das Auffinden von Objekten nicht wirklich einfacher.

Alle für einen und jeder für sich

Die zahlreichen Aufgaben, die es in diesem Abenteuer zu bestreiten gilt, sind in Umfang, Schwierigkeit und Art recht vielfältig. Neben den klassischen Inventar-Kombinationen sind ebenso Manipulationen und Gesprächsführung ein Teil der Lösungsfindung. Dabei bleibt The Book of Unwritten Tales meist logisch und nachvollziehbar, wenngleich immer etwas verrückt. So darf es nicht wundern, dass wir richtige Käfer (Bugs) benötigen, um einen Server lahmzulegen oder einen Reiniger an einem Verlängerungsarm, um einen sich gefährlich verteidigenden Kochtopf zu säubern.

Ein zusätzlicher Aspekt der Rätsel ist die Tatsache, dass viele Gegenstände erst aufsammelbar sind, wenn man sie sich generell angeschaut hat. Erst dann ist – sofern vorgesehen – ein Wechsel von Lupen- zu Handsymbol gegeben. Ein direktes Einsammeln ist nur selten möglich; meistens gibt es zu den Gegenständen etwas zu sagen, wodurch sich erst die Nutzungsmöglichkeit erschließt. Grundsätzlich ist der Schwierigkeitsgrad bei leicht bis mittelschwer anzusetzen, da es manchmal auch auf geschickte Zweckentfremdung eines Gegenstandes ankommt; richtige Kopfnüsse sind jedoch nicht zu finden. In den Solo-Passagen tauchen mitunter Rätsel auf, die starken Minispiel-Charakter haben. So gilt es zum Beispiel, unter Zeitdruck einen Trank zu brauen oder nach Anweisungen Markierungen auf einer Karte zu machen. Ein wenig Feingefühl braucht man dabei schon: Das koordinierte Herumrühren des Tranks mit Hilfe der Maus ist nämlich eher Koordinations- als Kopfsache. Hierbei genügt übrigens ein einzelner Fehltritt, um von vorne beginnen zu müssen, was auf Dauer nerven kann.

Etwas Abwechslung erfährt das Rätseldesign an den Stellen, wo es möglich ist, zwischen den Charakteren zu wechseln. Häufig ist dies auch nötig, da Wilbur höhergelegene Dinge schlechter als Ivo erreicht, während Ivo keine magischen Schriften lesen kann. Teamplay ist also angesagt.

Ein Spiel, sie alle zu binden

Die Atmosphäre von The Book of Unwritten Tales fängt von der ersten Minute ein und weiß den Spieler durchaus zu fesseln. Stimmen das Intro, das animierte Hauptmenü und die Eingangsmusik bereits auf epische Fantasy ein, bestätigt sich dieser Eindruck unmittelbar in den ersten Spielminuten und scheint sich stetig zu steigern. Alles in allem ist die Spielzeit bei 15-20 Stunden anzusetzen - deutlich über dem Durchschnitt.

Die liebevolle Spielwelt und ihre Bewohner sind mit Herzblut inszeniert und wissen – nicht zuletzt durch die charakteristische Vertonung – zu überzeugen. Jeder Charakter ist ein Sympathieträger für sich und schafft es auf die ihm eigene Weise, dem Spieler ein Grinsen abzuringen.

Es macht Spaß, die Helden im Wechsel zunächst einzeln zu spielen und im weiteren Spielverlauf zu einer Gruppe zusammenzufügen. Der Story geht leider zum Ende hin ein wenig die Luft aus - zu blass und zu knapp sind die Auftritte der Gegenspieler.

Die Einbettung von allerlei Persiflage und Selbstironie weiß durchweg zu gefallen. Im Gegensatz zu anderen Adventures wird hier nicht übermäßig und konstant gewitzelt und auf die Schippe genommen, sondern stets gezielt und punktgenau. Die Charaktere verbleiben gut in ihrer jeweiligen Rolle und präsentieren sich nicht nur über Filmzitate. Das Spektrum der Anspielungen ist ebenfalls gut ausgewählt und reicht von Star Wars, Indiana Jones, Terry Pratchett, Herr der Ringe bis zu World of Warcraft. So versucht Wilbur mit einigen Tricks, an einer Wache vorbeizukommen und scheut weder die Aussage "Ihr müsst mein Diplom nicht sehen" noch den Hinweis, sein Diplom sei von der unsichtbaren Universität.

Fazit

The Book of Unwritten Tales zeigt: King Art hat sich ins rechte Licht rücken können und bewiesen, dass sie Adventures der Oberklasse herstellen können. Bei diesem Adventure scheint alles zu stimmen, sei es die Synergie aus Grafik und Sound, die Story oder auch die liebevoll gezeichneten Figuren. Bei einer solchen Güte sind die nicht ganz perfekten Videosequenzen schnell vergessen.

Somit kann dieses Abenteuer uneingeschränkt empfohlen werden – auch denjenigen, die dem Genre bisher nicht allzu viel abgewinnen konnten. The Book of Unwritten Tales zeigt, wie Adventures aufgemacht sein sollten und dürfte Einsteiger, Gelegenheits-Abenteurer und Profis gleichermaßen zu begeistern wissen.

thumb
Soundtrack-CD Bei den vielen positiven Reaktionen auf The Book of Unwritten Tales wurden bereits Rufe nach einer Special Edition mit Bonusmaterial für Sammler laut. Die wird es - zumindest in absehbarer Zeit - nicht geben. Eine Soundtrack-CD kann man sich dank unserem Leser Laserschwert jetzt jedoch selber basteln. In gibt es dazu einen Thread mit CD-Cover und Inlay zum Ausdrucken sowie einer Anleitung, wie aus dem gekauften Spiel eine entsprechende Musik-CD werden kann.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Die Erwartungen wurden erfüllt: In allen Kategorien überzeugt The Book of Unwritten Tales und fesselt nachhaltig am Monitor. Selten hinterließen eine Kulisse und die Figuren davor einen so bleibenden Eindruck; alle Kritik am Spiel ist Meckern auf hohem Niveau. Wäre ich nicht Adventure- und Rollenspiel-Fan, wäre ich es spätestens nach diesem Abenteuer geworden. Ganz große Klasse.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Hervorragende Grafik
  • Professionelle Vertonung
  • Toller Soundtrack
  • Sehr humorvoll
  • Sympathische Charaktere
  • Hohe Spielzeit
  • Spannende Story...
  • ...die zum Ende etwas dünn wird
  • Laufbewegung nicht immer korrigierbar