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Test

von  Michael Stein
10.09.2009
Another Code R - Die Suche nach der verborgenen Erinnerung
Getestet auf Wii, Sprache Deutsch

Willkommen am Lake Juliet

Zwei Jahre nach ihrem Abenteuer auf Blood Edward Island erhält Ashley Mizuki Robins einen Brief ihres Vaters, der sich seither kaum um sie gekümmert hat. Er lädt sie zum Zelten an den Lake Juliet ein. Ashley nimmt diese Einladung mit gemischten Gefühlen an, denn Richard Robins hat sich seit einem halben Jahr nicht mehr bei seiner Tochter gemeldet. So steigt Ashley in den Bus und hofft, sich endlich mit ihrem Vater aussprechen zu können. Doch es kommt wie erwartet - als sie an ihrer Zielhaltestelle ankommt, ist niemand da, um sie in Empfang zu nehmen. Statt dessen wird sie erst einmal überfallen und ihrer Tasche beraubt. Frustiert und verärgert bleibt ihr also nichts anderes übrig, als sich allein zurechtzufinden.

Das Büro des Zeltplatzes ist geschlossen, also beginnt sie, die Gegend allein zu erkunden. Als erstes läuft ihr Ranger Dan über den Weg und schnell wird klar, dass Another Code sich stark von üblichen Adventures unterscheidet.

Reden ist Silber, Lesen ist Gold

Sprachausgabe sucht man in diesem Spiel vergeblich. Wie auch die Zelda-Reihe und andere japanische Rollenspiele setzt Another Code R auf viel (deutschen) Text, der aber nicht gehört werden darf, sondern gelesen werden muss. Bei Gesprächen schaltet das Spiel in eine Nahansicht, in der links und rechts die beiden (oder mehr) Gesprächspartner im Porträt gezeigt werden. Am unteren Bildschirmrand wird der Gesprächstext gezeigt. Dieser wird Buchstabe für Buchstabe eingeblendet, ein Druck auf die A-Taste zeigt ihn vollständig an und ein weiteres Drücken der gleichen Taste überspringt ihn. Die Geschwindigkeit, mit der der Text eingeblendet wird, kann im Optionsmenü dreistufig eingestellt werden.

Wer sich jetzt denkt, mit dem bisschen Text könne man auch ohne Sprachausgabe leben, dem sei gesagt, dass das Spiel zu etwa 70% aus Dialogen besteht. Die A-Taste der Wiimote wird im Laufe des Spiels zum besten Freund, denn die Dialoge sind nicht einfach nur lang, sie sind auch gerne mal überflüssig ausgeschmückt. Andererseits tragen sie, genau wie die feinen Gesichtsanimationen in den Gesprächen, stark zur Atmosphäre des Spiels bei, denn Another Code R erzählt eine sehr spannende Geschichte, an der viele Charaktere beteiligt sind. Leider ist der komplette Spielablauf starr vorgegeben. Es ist kaum möglich, von der vorgegebenen Handlung abzuweichen. Selbst Entscheidungen in den Dialogen haben keine wirkliche Auswirkung auf den Fortgang der Story.

Wie war das doch gleich... damals?

Bald wird klar, in welche Mission Ashley unfreiwillig gestolpert ist. Denn dass ihr Vater sie ausgerechnet zum Lake Juliet bestellt hat, hat seine Gründe. Immer wieder trifft Ashley auf Orte oder Szenen, die bei ihr Erinnerungen an ein Ereignis vor 13 Jahren hervorrufen. Offensichtlich war ihre Mutter seinerzeit mit der damals 3-jährigen Ashley genau an diesem Ort. Doch was hat sie hier getan? Ashleys Erinnerungen an ihre Mutter sind größtenteils verblasst und so klammert sie sich an jeden Fetzen, der ihr helfen kann, sich an die damaligen Ereignisse zu erinnern.

Bereits nach kurzer Spielzeit läuft ihr der 13-jährige Matt über den Weg. Dieser wohnt bei seinem Onkel und ist von zu Hause weggelaufen, um seinen Vater zu suchen, der vor 5 Jahren auf mysteriöse Weise spurlos verschwunden ist. Auch Matt hat in jungen Jahren seine Mutter verloren und so kann sich Ashley, die noch zwei Jahre zuvor selbst auf der Suche nach ihrem Vater war, gut in die Gefühlslage des Jungen hineinversetzen. Dazu kommt, dass beide Fälle starke Parallelen aufweisen. Zumindest bringen die Orte, an denen Matt nach Spuren sucht, auch bei Ashley Erinnerungen an ihre Mutter hervor. So tun sich die beiden also zusammen und erkunden die Gegend gemeinsam.

Immer wieder wird Ashley an Bilder aus der Vergangenheit erinnert

Ich klick' Dich!

Die Steuerung des Spiels ist anfangs ungewohnt, prägt sich aber relativ schnell ein. Grundsätzlich kann man zwischen der Steuerung in Gebäuden und der außerhalb von Gebäuden unterscheiden. Befindet sich Ashley in einem geschlossenen Raum, findet man in der Regel am linken und rechten Bildschirmrand einen gebogenen Pfeil, mit dem man Ashleys Sicht um 90° drehen kann. So kann sie jeden Punkt im Raum ins Sichtfeld bekommen. Die Hotspots sind meist leicht zu finden und ohne großes Zielen zu treffen. Nur wenige Objekte erfordern etwas mehr Zielgenauigkeit. Handelt es sich um große Objekte, wie Schreibtische oder Schränke, wird noch eine Nahansicht eingeblendet, in der kleinere Objekte besser angewählt werden können. Durch Türen geht man, indem man einfach auf sie klickt. Eine freie Rundumsicht, wie man sie von anderen Adventures in der Ego-Perspektive kennt, gibt es hier nicht.

Außerhalb von Gebäuden ändert sich das Interface geringfügig. Die Schaltflächen zum Drehen weichen anderen, mit denen man Ashley nach links oder rechts laufen lässt. Läuft man an einer Wegkreuzung oder einem Hauseingang vorbei, vibriert die Wiimote kurz und es wird am oberen oder unteren Bildschirmrand ein Pfeil angezeigt, der andeutet, dass man nach vorne oder hinten abbiegen kann. Klickt man auf einen dieser Pfeile, schwenkt die Sicht um 90°, sodass man diesen neuen Weg wieder in Rechts-/Linksrichtung begehen kann. Zur besseren Orientierung wird im linken unteren Bildschirmeck eine Karte eingeblendet.

Ich glaub' ich bin in Japan... bin ich aber nicht

Grafiken, Charaktere und überhaupt die ganze Aufmachung des Spiel sind stark an den Anime-Stil angelehnt. Schauplatz des Geschehens ist allerdings ein See mitten in den Vereinigten Staaten, mitsamt einem Ranger, Hütten im Wald, Pickups und typischen amerikanischen Holzhäusern. In dieser Umgebung wirkt die Halbjapanerin Ashley anfangs etwas deplatziert. Auch die Musik könnte eher aus einem japanischen Rollenspiel denn aus einem Adventure stammen. Hat man sich aber erst einmal an diese Umstände gewöhnt, stellt man fest, dass eben dies genau den unverwechselbaren Stil des Spiels ausmacht. Obwohl das Spiel komplett in 3D gestaltet ist, wird es in Außenarealen, wie schon erwähnt, zum Sidescroller. Das sieht sehr schön aus, denn die Landschaften sind liebevoll gezeichnet und erlauben einen weiten Blick in die Tiefe. So sieht man auch im Hintergrund Gebäude, die man entweder schon besucht hat oder die eventuell später im Spiel noch besucht werden können. Obwohl die Laufwege teilweise recht lang sind, können sie doch relativ schnell zurückgelegt werden. Ashley hält nichts von gemütlicher Gangart: Wenn sie sich bewegt, dann im Laufschritt. An einige Wegpunkten werden Zeitraffer-Animationen eingeblendet, mit denen größere Wegstrecken zwischen zwei Handlungsarealen überbrückt werden.

In Außenarealen wird nur nach links und rechts gelaufen<br /><br />Die Karte hilft bei der Navigation

In meiner Tasche habe ich DAS und TAS

Das Inventar des Spiels wird über ein Taschensymbol am unteren rechten Bildrand geöffnet und legt sich komplett über den aktuellen Bildschirm. Wählt man ein Objekt aus, kann man es über vier Pfeile in alle Richtungen drehen. Objekte können entweder mit anderen Inventargegenständen kombiniert werden oder man wendet sie auf feststehende Objekte an.

Mit der Einladung zum Zelten hat Wissenschaftler Richard Robins seiner Tochter ein Gerät namens DAS zugeschickt. Bei diesem verbesserten Modell des DAS aus dem Vorgängerspiel handelt es sich um einen aufklappbaren Mini-Computer mit Kamera und drahtloser Netzanbindung, der dem Nintendo DS zum Verwechseln ähnlich sieht. Als wäre dies nicht Zufall genug, erhält Ashley von ihrem Vater beim ersten Zusammentreffen ein weiteres Gerät, das ein fast exaktes Abbild der Wiimote ist, beide unter der Maßgabe, sie niemandem zu zeigen. Beide Geräte sind Unikate, die mit speziellen Fähigkeiten ausgestattet sind. Aktiviert man das DAS über eine eigene Schaltfläche am rechten unteren Bildschirmrand, erscheint ein Menü, in dem man unter Anderem speichern und Spieleinstellungen vornehmen kann. Von hier aus kann man auch Fotos schießen, Nachrichten abrufen und weitere Funktionen durchführen, die im späteren Verlauf des Spiels notwendig werden. Das TAS hingegen ist ein Gerät, das noch von Ashleys Mutter entwickelt wurde, einer Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Gedankenmanipulation. Das TAS ist ein wichtiger Bestandteil des Rätseldesigns. Eine pfiffige Entscheidung der Entwickler, denn mit einem Inventargegenstand, der das gleiche Design hat wie das Gerät, das der Spieler gerade in der Hand hält, lassen sich tolle Rätsel basteln. Und genau das macht Another Code R wie kein anderes Adventure auf der Wii. Viele der Rätsel sind darauf ausgelegt, dass die Wiimote kabellos in alle Richtungen gedreht, geschüttelt, vorwärts gestoßen oder einfach in einer bestimmten Position gehalten werden muss. Nicht immer ist die Funktionsweise der Rätsel auf den ersten Blick ersichtlich. Hat man am Anfang noch einfache Aufgaben zu bewältigen, so muss man im späteren Verlauf hin und wieder stark um die Ecke denken. Zwar gibt es im Spiel auch andere Rätsel, wie das richtige Abwiegen von Gewichten, Kombinieren von Gegenständen oder auch Rätsel, die mit Matt gemeinsam gelöst werden müssen, das Highlight sind jedoch die teils sehr anspruchsvollen Coderätsel mit dem TAS.

Ich bin Ashley, wer bist Du?

Ashley ist 16 und das stellt erwachsene Spieler vor ein Problem. Es ist nicht so einfach, sich in die Gemütslage einer 16-Jährigen zu versetzen. Sie ist naiv, verplappert sich ständig, lässt sich auf Zickenterror mit anderen Teenagern ein und vertraut Menschen rein aus dem Bauch heraus oder auch eben nicht. Das mag zwar befremdlich sein, Ashley wirkt aber durch ihr Verhalten umso glaubwürdiger - genau wie alle anderen Charaktere, von denen jeder seine eigene Geschichte zu erzählen hat. Es ist schön zu sehen, dass nicht nur die Hauptakteure, sondern auch Nebenfiguren ein eigenes Leben mit Wünschen, Ängsten und Problemen haben. Auch passt alles irgendwie nahtlos ineinander. Eben diese Kleinigkeiten hauchen der Welt von Another Code R viel Leben ein und sind auch Grundlage der Hintergrundgeschichte. Je mehr Details Ashley im Laufe der Zeit zusammenträgt, desto mehr kann sich der Spieler über die Ereignisse vor 13 Jahren zusammenreimen.

Fazit

'Ein bewegender interaktiver Roman' steht dick auf der Vorderseite des Covers. Und genau das ist Another Code R. Wer Standardkost erwartet, wird aufgrund der umfangreichen Texte und der fehlenden Sprachausgabe wohl etwas enttäuscht sein. Als das, was es sein will, funktioniert das Spiel aber sehr gut. Es ist eine spannende Geschichte, die nicht einfach nur erzählt, sondern von den Charakteren vorgelebt wird und sich nicht in abstrusem Rätseldesign und reißerischer Aufmachung verliert. Zwar driftet die Story an einer Stelle etwas unpassend ins Mystische ab, insgesamt ist sie aber sehr durchdacht und gut bis ins Detail inszeniert. Deshalb und wegen der knapp 20 Stunden Spielzeit ist Another Code R jeden Cent wert, wenn man sich darauf einlässt, mal einen Titel der etwas anderen Art zu spielen. Lediglich den Umstand, dass ein Nunchuck-Controller an einer Stelle des Spiels benötigt wird, hätten die Hersteller ruhig auf der Packung vermerken dürfen.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Another Code R hat mich von Anfang an stark in seinen Bann gezogen. Zwar gab es in der Mitte des Spiels einige Längen, dafür wurde ich mit einem äußerst spannenden und emotionsgeladenen letzten Drittel belohnt, das mich den Controller nicht mehr aus der Hand legen ließ. Das Spiel macht fast alles richtig. Mit etwas kompakteren Dialogen wäre das Spielerlebnis noch beeindruckender gewesen. Aber auch so gehört Another Code R nicht nur zu den intensivsten, sondern auch zu den außergewöhnlichsten Spielen der letzten Zeit. Ich wünsche mir eine Fortsetzung, vielleicht mit einer noch etwas älteren Ashley, damit ich die Entwicklung dieser Figur noch weiter verfolgen kann. Denn Ashley Robins ist ein toller Charakter, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird, wenn die farblosen Protagonisten einiger Massenproduktionen schon lange wieder vergessen sind.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Toll ausgearbeitete Charaktere
  • Schöne Animationen
  • Innovative Rätsel
  • Spannende Geschichte
  • Ausufernde Texte
  • Sehr linear
  • Falsche Hardwareanforderungen auf der Packung