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Test

von  Hans Pieper
05.10.2011
The Book of Unwritten Tales - Vieh Chroniken
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch
86%

2011 ist das Jahr der verzögerten Spiele. Gleich zwei Titel, die eigentlich im Jahr 2009 erscheinen sollten, fanden schließlich doch noch den Weg in die Läden. Nach Haunted hat nun auch für The Book of Unwritten Tales: Die Vieh Chroniken die Odyssee zwischen verschiedenen Publishern ein Ende. Beide Titel hatten unfreiwillig zwei zusätzliche Jahre Entwicklungszeit. Ob diese bei den Vieh Chroniken gut genutzt wurde und ob das lange Warten belohnt wird, erfahrt ihr in unserem Test.

Willkommen zurück

Auf den ersten Blick hat sich zwischen The Book of Unwritten Tales und den Vieh Chroniken nicht viel verändert: Nach dem Start wartet dasselbe Menü in Form eines Buches mit derselben Musik auf den Spieler. Auch die witzigen Kommentare unter dem Fortschrittsbalken beim Laden eines Spielstandes wurden wieder integriert - natürlich mit neuen Texten. Die nette Funktion, bei der Installation aus mehreren Icons auszuwählen, fehlt allerdings. Das Spiel installiert automatisch ein Buchsymbol mit dem Baby-Vieh darin. Das Interface blieb zum größten Teil optisch unverändert. Allerdings verbessern ein paar neue Features das Spielerlebnis.

Im Mittelpunkt des Spiels stehen der Dieb Nate und das Vieh

Mit alles? Mit schwer? Mit Hotspots?

Gesteuert werden die Vieh-Chroniken wie gewohnt mit der linken Maustaste. Die Leertaste aktiviert die Hotspot-Anzeige. Eine der größten Neuerungen ist die Auswahl zwischen dem schweren und dem normalen Modus, in deutlicher Anlehnung an den Klassiker Monkey Island 2. Die beiden Spielvarianten unterscheiden sich in mehreren Punkten: Der schwere Modus bietet weniger Hinweise in den Dialogen, längere und komplexere Rätselketten und mehr Inventargegenstände. Außerdem wird die Hotspot-Anzeige standardmäßig deaktiviert. Allerdings kann der Spieler letztere jederzeit selbst im Menü wieder aktivieren. Die beiden Modi haben einen deutlichen Einfluss auf die Spieldauer. So dauert das erste Kapitel im leichten Modus etwa 30 Minuten, in der schweren Version werden daraus ungefähr 50 Minuten. In späteren Kapiteln wird dieser Unterschied noch größer. Das liegt vor allem daran, dass dem Spieler im schweren Modus deutlich mehr Kreativität im Umgang mit den Inventargegenständen abverlangt wird. So kann ein Socken im zweiten Kapitel für viel Kopfzerbrechen sorgen. Der Schwierigkeitsgrad wird vor dem Beginn eines neuen Spieles festgelegt, danach kann er nicht mehr verändert werden. Wer die andere Stufe ausprobieren möchte, muss nochmals von vorne anfangen. Natürlich haben die Entwickler die beiden Spielvarianten auch für einige Gags genutzt. So kommentiert der Hauptcharakter Nate im ersten Kapitel im leichten Modus ein Kohlestück mit den Worten: „In einem anderen Leben wäre das vielleicht nützlich gewesen…“.

Neben den klassischen Inventar- und Dialogrätseln <br /><br />gibt es insgesamt drei besondere Aufgaben.

All die Rätsel, all der Schmerz

Rätseltechnisch bieten die Vieh Chroniken hauptsächlich Inventar- und Dialogrätsel. Minispiele wie das Knacken eines Schlosses bilden die Ausnahme, im gesamten Spielverlauf gibt es drei dieser Knobelvarianten. Ab dem dritten Kapitel spielt die Zusammenarbeit zwischen Nate und dem Vieh eine große Rolle. Dann ist vor allem entscheidend, welcher Charakter welchen Gegenstand zu welchem Zeitpunkt einsetzen muss. Gegenstände können im Inventar sofort kombiniert werden, auch wenn sich der Sinn dahinter dem Spieler noch gar nicht erschlossen haben kann. In diesem Zusammenhang fällt besonders ein Feature positiv auf: Wird ein bereits kombiniertes Objekt einzeln benötigt, trennt der Charakter es für die Aufgabe automatisch wieder ab. Bis auf eine Ausnahme verlaufen die Rätselketten linear, Aufgaben und Rätsel werden der Reihe nach gelöst. Meist schaltet das erfolgreiche Lösen eines Schrittes weitere Dialogoptionen frei - oder Gegenstände die im Anschluss verwendet werden. Nur eine Szene im zweiten Kapitel bricht aus diesem Schema aus. Versucht der Spieler sich zunächst an einem anderen Problem, muss er irgendwann feststellen, dass es hier nicht weitergeht und erst die andere Rätselkette beendet werden muss. Als nette Dreingabe gibt es zwei Objekte, die für den Spielfortschritt überhaupt keine Rolle spielen, aber verwendet werden können. Insgesamt bewegen sich die Rätsel im moderaten oder einfachen Bereich. Lediglich zwei Aufgaben erweisen sich als harte Nuss: Bei einem Flaschen-Rätsel im dritten Kapitel könnte man schon fast von einer unfairen Aufgabenstellung sprechen. Und ein extrem abstruses Rätsel im fünften Kapitel kann eigentlich nur durch Herumprobieren gelöst werden. Allerdings wird man durch seine witzige Auflösung entschädigt. Doch sonst bietet das Spiel auch im schweren Modus kaum Frustmomente. Meist entstehen kleinere Hänger, weil man einen Ort erneut aufsuchen muss, einen Gegenstand übersehen oder eine Dialogoption nicht bemerkt hat. Insgesamt benötigt der Spieler in der schweren Version zwischen acht und neun Stunden bis zum Finale, in der normalen Variante dürfte die Spielzeit bei etwa sieben bis acht Stunden liegen. Damit fällt das Prequel deutlich kürzer aus als sein zeitintensiver Vorgänger, passt aber ungefähr zu den anderen Spielen der heutigen Generation.

Um aus Situationen wie dieser zu entkommen, sind <br /><br />meist recht lange Rätselketten zu lösen. <br /><br />Zeitdruck herrscht allerdings nie.

Anmutiges Vieh, plumpe Abstürze

Grafisch kommen die Vieh Chroniken ähnlich daher wie The Book of Unwritten Tales. Die Schauplätze wurden sorgfältig erstellt und gut in Szene gesetzt. Einige Bildschirme scrollen von links nach rechts und von oben nach unten, wenn der Charakter sie durchquert. Für nahezu alle Aktionen wurden Charakteranimationen geschaffen und auch die Lippensynchronisation ist gut umgesetzt. Die eher spärlich eingesetzten Zwischensequenzen sind allesamt mit Ingame-Grafik gelöst. Einige der größeren Ereignisse, wie ein wagemutiger Kletterversuch von Nate oder der Absturz des Luftschiffes im ersten Kapitel, werden allerdings gar nicht erst dargestellt, sondern nur durch Geräusche zu einem schwarzen oder angehaltenen Bildschirm erzählt. Das wirkt auf Dauer etwas enttäuschend, hier hätte man sich für eine dichtere Erzählung mehr Mühe geben können. Die Charaktere selbst wandern fast ohne Clipping-Fehler durch die Szenerie, blicken gewählte Objekte und andere Personen beim Gespräch an und haben Warte-Animationen. Ein wenig störend wirkt sich mit der Zeit der Umstand aus, dass andere Spielfiguren ihre aktuelle Animationsschleife erst vollständig beenden müssen, bevor man mit ihnen interagieren kann. Besonders schön anzusehen ist das Vieh, das anmutig durch die Bildschirme gleitet. Wählt der Spieler einen weit entfernten Punkt, legt der Charakter automatisch einen Zahn zu. Auch das sofortige Verlassen des aktuellen Bildschirms ist durch Doppelklick möglich. Ein absolutes grafisches Highlight ist der Magierturm in Kapitel vier, der bereits auf frühen Screenshots zu sehen war. Dort kommen zusätzlich auch eine hohe Gag-Dichte, haufenweise Anspielungen und einfallsreiche Rätsel zusammen.

Der Höhepunkt des Spiels ist eindeutig <br /><br />der Turm des Magiers im vierten Kapitel.

So Vieh-le Wortspiele

Eine der großen Stärken, die die Vieh Chroniken und das Buch der ungeschriebenen Märchen gemeinsam haben, ist der Humor. Auch im Prequel wimmelt es nur so von Anspielungen auf andere Spiele, Filme, Lieder, Pop-Ikonen und Genres. Wie bei The Book of Unwritten Tales gibt es zahlreiche witzige Kommentare zu Gegenständen und Personen. Auch die Situationskomik kommt nicht zu kurz. Das Spiel nimmt sich selbst nicht allzu ernst – und macht auch keinen Hehl daraus. Als im dritten Kapitel in der Schneelandschaft plötzlich ein neuer Schauplatz auftaucht, kommentiert Nate das mit einem trockenen „Das war aber vorhin noch nicht da!“. Fans dieser Art von Spielen werden bestens unterhalten, ernsthafte Mystery-Ermittler hauptsächlich den Kopf schütteln. Und ob es den Pinguin, der erst furzt und dann an seinem Hintern riecht, wirklich gebraucht hätte, darüber lässt sich durchaus diskutieren. Insgesamt aber erreichen die Vieh Chroniken den Humor ihres Vorgängers und bereiten so eine ganze Menge vergnüglicher Spielstunden.

Verlorene Laute

Es war der heimliche Star von The Book of Unwritten Tales: Das Vieh. Entsprechen groß waren auch die Erwartungen an seine Rolle im aktuellen Titel. Doch leider ist es den Entwicklern nicht vollständig gelungen, die witzigen Kommentare und Dialoge des Viehs in den neuen Teil zu übertragen. Die Stimme ist deutlich tiefer und das Gegrunze dadurch streckenweise nur schwer zu verstehen, wodurch ein Großteil des Wortwitzes der Vieh-Sprache verloren geht. Außerdem scheint es an vielen Stellen so, als ob die Programmierer Laute vergessen hätten: Das Vieh gestikuliert wild mit den Armen, öffnet den Mund – und kein Laut dringt hervor. Es fehlen die kleinen, kurzen „Arüas“, die man an diesen Stellen erwarten würde. Trotz dieses Wermutstropfens ist das Vieh natürlich wieder der Star des Spiels – auch wenn ihm das Baby-Vieh ordentlich Konkurrenz macht. Die restlichen Sprecherleistungen sind hervorragend. Die Stimmen wurden sorgsam ausgewählt, passen sich stets der Situation an und tragen viel zur Atmosphäre bei. Der Soundtrack verwendet zahlreiche Stücke aus dem ersten Teil wieder, Komponist Benny Oschmann hat aber auch einige neue Titel spendiert, die immer perfekt in die Umgebung passen.

Hintergrundgeschichte als Begleiterscheinung

Dass die Vieh Chroniken ursprünglich kürzer gedacht waren, tritt in der Story und an der Anzahl verwendeter Schauplätze deutlich zu Tage. Spielorte und deren Inhalte werden oft und mehrfach genutzt und die Geschichte hinter den Vieh Chroniken enthält keine wirklich überraschende Wende. Relativ schnell ist klar, wo die Reise hingeht, dazwischen stehen die Rätselketten und ein ganzer Haufen Gags und Anspielungen. Die Genialität der Zeitreise aus dem Buch der ungeschriebenen Märchen kann das Prequel nicht erreichen, bietet mit dem herrlich verdrehten Magierturm aber ein ebenfalls recht cleveres Element. Die Überschneidungen und Anspielungen an The Book of Unwritten Tales sind gut gesetzt und fügen sich schön in das Spielgeschehen ein. Auch die stärkere Einbindung des Viehs in das Geschehen war eine gute Entscheidung.

Die Vieh Chroniken verraten mehr <br /><br />über Herkunft und Famile des Viehs.

Das Fazit

Die Vieh Chroniken sind der kleine Bruder vom Buch der ungeschriebenen Märchen. Die Story und die Anzahl der verwendeten Schauplätze sind dabei kleiner gehalten worden, wirklich überraschende Momente fehlen. Humortechnisch hat es ebenso viele Lacher zu bieten wie sein Vorgänger und auch die Seitenhiebe auf das Adventure- und das Rollenspiel-Genre sind wieder mit von der Partie. Die fehlenden Vieh-Laute, die wenigen Cutscences, der stark lineare Rätselaufbau und die inhaltlich begrenzte Geschichte schmälern den Spielspaß ein wenig, tun dem Gesamtspiel aber keinen Abbruch. Ja, die Wartezeit hat sich gelohnt, King Arts hat wieder ein tolles Adventure auf den Markt gebracht.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Eine ganze Weile ist es her, seit ich versuchte, einen Hasen zu fangen, den Tod einzugraben und mit dem Vieh unter einem Türspalt hindurchzuschlüpfen. The Book of Unwritten Tales war ein Überraschungshit und die Vieh Chroniken landeten sofort nach der ersten Ankündigung in meinem digitalen Einkaufswagen - wo sie dann sehr, sehr lange liegen blieben. Wie ein Newsletter segelten regelmäßig Nachrichten über die Verschiebung des Erscheinungstermins in mein Emailpostfach. Als bekannt wurde, dass die Vieh Chroniken nun doch noch kommen und auch noch wesentlich umfangreicher ausgestattet sein würden, waren die Erwartungen groß, vielleicht zu groß. Den großen Bruder zu toppen, ist schwer bis unmöglich. Trotzdem sind die Vieh Chroniken ein tolles Adventure geworden, dass seinen kleineren Umfang perfekt ausnutzt. Und auch das laute Auflachen vor dem Rechner hat nicht gefehlt. Eine lange Wartezeit mit Happy End also.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Wählbare Schwierigkeitsstufe
  • Sehr humorvoll
  • Vieh in vier von fünf Kapiteln steuerbar
  • Wenig Frustmomente
  • Tolle Grafik
  • Perfekte Sprecherleistung
  • Im Vergleich recht dünne Story
  • Vieh-Laute scheinen zu fehlen
  • Rätselketten sehr linear
  • Wenig Schauplätze