Anzeige

Test

von  Sebastian 'basti007' Grünwald
22.12.2015
Moebius
Getestet auf Windows, Sprache
  • Deutsch
  • Englisch

Paenam arrogantiae effugit nemo suae

Malachi Rector ist arrogant, selbstgefällig, eitel, fast ein Misanthrop. Er ist wohlhabend, manipulativ, eigentlich ein psychopathischer Unsympath. Aber irgendwo doch clever, sexy und bewundernswert. Denn Malachi hat ein ungeheuer genaues Auge und ein visuelles Gedächtnis der Sonderklasse. Er analysiert Menschen in Sekundenbruchteilen und erkennt ihre Stärken und Schwächen. Seine Gabe hat ihn reich gemacht: Als Experte für Antiquitäten kann er Original von Fälschung unterscheiden und bereist so die ganze Welt nach den lukrativsten Geschäften. Malachi Rector ist aber auch der Held unserer Geschichte und es mutet schon fast waghalsig an, dass Spielautorin Jane Jensen (""Gabriel Knight"") so einen hochmütigen, aalglatten und großspurigen Schnösel als Spielfigur ins Rennen schickt. Ist es am Ende genau diese ungewöhnliche Spielperspektive, die Moebius von anderen Adventurespielen wohltuend abhebt und auf narrativer Ebene einen neuen Beitrag zum Genre leistet?

In Moebius geht es Mitnichten nur um das Finden von wertvollen Antiquitäten. Eines Tages wird Malachi von einer nebulösen Organisation namens FITA engagiert, eine bestimmte Person in Venedig zu analysieren. Seine Beobachtungsgabe soll ihm dabei zu Gute kommen. Die genauen Motive von FITA bleiben zunächst unklar, doch die Bezahlung ist hoch und so lässt sich Malachi auf den Trip ein. Schon bald gesellen sich weitere zu observierende Personen dem Auftrag hinzu, die gleichzeitig von anderen Mächten mit dem Leben bedroht oder gar umgebracht werden. So schlittert der blasierte Antiquitätenhändler immer tiefer in eine politische Verschwörungsintrige hinein, die ihn über die ganze Welt führt und irgendwie mit der Moebius-Theorie in Verbindung steht. Die besagt, dass Zeit so zu einer Schleife zusammengefasst wird, dass sich Ereignisse wiederholen und man damit Muster erkennen kann, die einem effektiv die Zukunft voraussagen. Am Ende hängt scheinbar sogar die komplette amerikanische Politik davon ab, dass diese Muster auch weiterhin eingehalten werden.

Laudamus veteres, sed nostris utimur annis!

Ähnlich wie schon bei Gray Matter ruht sich Jane Jensen nicht nur auf herkömmliche Adventure-Mechaniken aus. Zwar reist man mit den typischen Aufgaben durch die Welt, kombiniert gefundene Gegenstände mit der Umgebung und führt zahlreiche interaktive Dialoge - die eigentliche Neuerung ist aber der Fokus auf ein mehr metaphysisches Gameplay. So kann man fast alle Charaktere mit einer eigenen Funktion näher untersuchen, ihre Haltung, Kleidung, Gestik oder Mimik analysieren und daraus ein Charakterportrait formen, das später beim Rätseln hilfreich ist. Die Methodik ist ein wenig mit den Analysewerkzeugen in den späteren Sherlock-Holmes-Adventures vergleichbar. Das gleiche gilt für Gegenstände, wo man auf Malachis visuelles Gedächtnis zurückgreifen kann und somit Antiquitäten bestimmten Epochen zuordnen muss. Ein Hauptaugenmerk gilt dem Finden von Moebius-Mustern bei unseren ""Zielpersonen"". Je mehr Malachi in Erfahrung bringt, desto mehr kann er die Zielperson mit seinem geschichtlichem Wissen in Verbindung bringen und so feststellen, ob es sich um ein gesuchtes, historisches Muster handelt. Auch wenn sich das Lösen dieser kleinen Aufgaben meist auf simples Drag'n'Drop beschränkt, passen sie doch gut zum ""Wunderkind""-Charakter des Protagonisten.

Weniger gut passen die kleinere ""Runaway-Syndrome"". Malachi will hin und wieder offensichtliche Gegenstände einfach nicht mitnehmen, selbst wenn dem Spieler deren Nutzen längst klar ist. Da liegt mitten auf der Straße eine Packung Motoröl zum Schmieren. Ein paar Schritte später wird es dann benötigt, aber mitnehmen kann man es erst, wenn der Spieler bereits daran vorbeimarschiert ist. Zwar sagt Malachi meistens, dass der Gegenstand später vielleicht nochmal nützlich ist, aber zur guten Adventureschule gehören solche Mankos natürlich nicht. Benutzerführung und Präsentation sind ansonsten sehr klassische Adventurekost. Die Oberfläche orientiert sich ein wenig an die alten Sierra-Tugenden und mögen dem ein oder anderen Spieler heute etwas unhandlich erscheinen. So muss man zur Anwendung eines Gegenstands z.B. zuerst den jeweiligen Gegenstand anwählen und erst dann das entsprechende Benutzen-Icon. Hat man sich an den Prozessablauf aber erst mal gewöhnt, fühlt sich Moebius tatsächlich wie ein Adventure der guten alten Schule an. Die Geschichte ist in Kapitel unterteilt und es gibt für jede Handlung einen fortlaufenden Punktezähler. Klassiker wie Gabriel Knight lassen grüßen.

Exercitatio artem parat

Trotzdem gibt es natürlich Verbesserungen gegenüber den alten Tagen. Moebius kommt in hochauflösender Grafik und 3D-Charaktermodellen daher. Und vermutlich liegt dort auch gleich die größte Krux des Spiels. Die Grafik wird der finsteren Mystery-Geschichte Jensens einfach nicht gerecht. Die Hintergründe sind zu klinisch gerendert, farblich meist viel zu grell und wirken durchgehend überbelichtet. Dabei ist sie vom Prinzip her nicht schlecht, denn zahlreiche Details wie umherfahrende Autos oder schimmernde Flüsse geben den Szenen Leben. Es fehlt einfach ein Filter, der dem Geschehen das notwendige Quentchen Dreck, Unordnung und Mystik gibt. Vermutlich hätten schon ein besserer Shader oder dynamisches Wetter vieles verbessert. Wo in Zeiten von EGA-Grafik noch die geringe Auflösung für die notwendigen Ecken und Kanten gesorgt hat, fehlt genau das in Moebius einfach grundlegend. Dass es besser gehen würde zeigen die wenigen Szenen in der Nacht, in der das Spiel hin und wieder halbwegs ansehnlich aussieht. So aber wirkt es eher wie frühe Versuche eines Render-Adventures der Jahrtausendwende.

Die 3D-Modelle leiden an einem ganz ähnlichen Schicksal. Die Menge an Animationen sind lobenswert. Da wird genickt, mit den Achseln gezuckt, zu Boden geschaut, mit den Füßen gestampft und gestikuliert. Doch genau wie die Hintergrundgrafik an Feinjustierung leidet, leiden die Modelle an ihren schlechten Animationsmöglichkeiten. Man merkt, dass die Entwickler Cineastisches vorhatten, es aber letztlich nicht umsetzen konnten. Da geht Malachi ab und zu O-beinig, dann wieder X-beinig, da schauen Modelle manchmal direkt aneinander vorbei, da schneiden hin und wieder sogar Bewegungen durch die eigenen Körper hindurch. Außerdem wirken auch die Figuren selbst häufig äußerst glatt. Das Ganze ist wirklich schade, denn die Vielfalt an Bewegung ist eigentlich überdurchschnittlich. Es sieht halt nur leider nicht realistisch aus. Tatsächlich wirken Dialogszenen sogar viel besser, wenn sie mit der Kamera weiter weg dargestellt werden und weniger Details zeigen. Da Moebius sich aber sehr stark auf Nahaufnahmen und ausführliche Charakterzeichnung einschießt, sammelt es hierbei einige Minuspunkte ein.

Dazu gesellen sich bekannte Probleme von 2,5D-Adventures: Die Animationen sind manchmal ungewöhnlich langatmig. Da marschiert Malachi in einer Bibliothek zu einem Computer, wartet bis die Animation abgespielt ist, spielt dann die Animation ab, einen Stuhl nach vorne zu schieben, wartet, spielt die Animation ab, sich hinzusetzen, wartet, rückt mit dem Stuhl vor, tippt etwas auf dem Computer, spielt dann die Animation ab, den Stuhl wieder nach hinten zu rücken, wartet, steht auf, wartet, rückt den Stuhl wieder an den Tisch, wartet, dreht sich um, wartet, geht dann zu einer Buchausgabestelle, wartet, bückt sich, wartet, nimmt ein geliefertes Buch und schlägt es auf. Spätestens hier wünscht man sich die Einschränkungen von Gabriel Knight 2 zurück, wo man keine Pfadfindung hatte und deswegen bei einem Klick den Charakter immer nur zwei Schritte in eine Richtung gehen ließ und dann sofort abblendete, um die nächste Szene zu laden. Es gibt einen Grund, warum Filme belanglose Aktivitäten nicht in Gänze zeigen, sondern dann einen Zeitsprung machen. Warum nicht auch hier? Jensen weißt es eigentlich besser und das hätte dem Spiel sicherlich ein wenig seine Trägheit genommen. Wer jedoch ohnehin gerne entspannt spielt und auch mal eine Zeitlang einfach nur auf dem Bildschirm schauen kann, den wird dieses Manko vermutlich nur bedingt stören, zumal Moebius hier auch kein Ausnahmekandidat ist. Vorteilhaft ist die Teleport-Funktion, mit der man Malachi mittels Doppelklick einfach schnell zu einer bestimmten Stelle auf dem Screen ""beamen"" kann. Mehr Tempo und großteils bessere Animationen bieten auch die zahlreichen Filmsequenzen, die ganz im Gabriel-Knight-1-Stil im Comic-Panel-Look dargestellt werden.

Nulla vita sine musica

Die klangliche Untermalung ist gelungen. Viele Aktionen sind mit Geräuscheffekten unterlegt und beleben die Szenerie. Musikalisch ist wieder Robert Holmes am Start und liefert einige markante Stücke ab. Ein paar sind leider so markant, dass sie die Szene etwas zu stark dominieren. Zudem lässt sich kein durchgehendes Thema erkennen. Manchmal erklingen westernartige Gitarrenriffe, dann eher blechernes Techno-Geklopfe, dann wieder ruhige Klaviermelodien oder sphärische Klänge. Die Auswahl der Musikstücke pro Szene wirkt dabei etwas zu beliebig. Es hört sich einfach nicht so rund wie noch bei Gray Matter oder Gabriel Knight an. Und hin und wieder hätte vielleicht auch einfach ein wenig ruhige Atmosphäre gereicht, um der omnipräsenten Musik etwas entgegenzusetzen. Stimmungsvoll ist dafür auf alle Fälle das einführende Lied von Raleigh Holmes und den Scarlett Furies, das dem Spiel den richtigen Auftakt gibt. Insgesamt ist der Soundtrack immer noch sehr gut und besser als bei vielen anderen Spielen - aber eben auch nicht herausragend. Auch da ging schon mal mehr. Eine deutsche Sprachausgabe gibt es leider nicht. Die deutsche Text-Übersetzung ist aber solide. Wirklich gut besetzt sind die englischsprachigen Synchronsprecher, die das Lauschen der Geschichte zu einem Genuss machen und ein wenig über die mittelmäßige Grafik hinwegtrösten.

Dimidium facti qui coepit habet

Bleibt also jetzt die Frage, ob es der Spielautorin trotz gewagtem Setup gelingt, mit einer hochnäsigen Spielfigur ein unterhaltsames und spannendes Spiel zu kreieren. Und das ist ihr tatsächlich geglückt. Malachi ist ein reizvoller und ungewöhnliche Charakter, der mit der Zeit eine Entwicklung durchmacht, die ihn vom gefühllosem Prahler zum empfindsamen Zeitzeugen werden lässt. Die Geschichte gewinnt zunehmend an Tiefe und man ist tatsächlich daran interessiert, wer hinter dem Geschehen steckt und was in Malachi wirklich vorgeht. Die Charaktere, auf die man trifft, sind immer spannend und vermeiden meistens die gängigen Klischees, wenn es nicht gerade für ein Rätsel relevant ist. Jensen gelingt also durchaus eine packende und tiefgreifende Adventure-Geschichte, ähnlich wie sie es bereits bei Gray Matter unter Beweis gestellt hatte.

Leider endet die Geschichte auch ähnlich wie bei Gray Matter überraschend und wenig befriedigend. Denn Moebius macht ein gewaltiges Fass auf, das sich von Metaphysik bis hin zu Verschwörungstheorien schlängelt und hätte damit eine hervorragende Grundlage für einige wirklich spannende und zudem brandaktuelle Wendungen geboten. Allein die Frage, in wie weit Politiker durch fremde Mächte gesteuert werden und was Geheimdienste wirklich im Schilde führen, wäre eine spannende Prämisse für das Spiel. Jane Jensen schneidet all das an, beendet das Spiel aber mit einer praktisch irrelevanten Rettungsaktion in einem Tunnelsystem. Ähnlich wie bei Gray Matter bleiben viele Fragen offen. Das ganze Spiel wirkt mehr wie ein Präludium auf ein noch viel größeres Werk. Dass Jane interessante Geschichten aus Fakt und Fiktion intelligent zu einem gemeinsamen Höhepunkt zusammenweben kann, hatte sie spätestens seit Gabriel Knight 2 bewiesen. Vielleicht benötigt es daher einfach auch nur einen zweiten Moebius-Teil, um die epische Bandbreite zwischen Malachi, seinem Freund David Walker und der FITA-Organisation auszuspielen. Zu wünschen wäre es der Geschichte allemal.

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Jane Jensens neues Spiel macht es einem nicht einfach. Abgesehen von veralteter Optik sind es vor allem die vielen Schnitzer im Puzzle-Design und die überladene Geschichte, die in keinem Verhältnis zur Sierra-Zeit stehen. Wo anfangs noch das Erstellen von Persönlichkeitsprofilen einen gewissen Neuwert darstellt, wiederholen sich diese Spielelemente, nutzen sich mit der Zeit ab und frustrieren dazu auch noch. Den Hauptcharakter empfand ich zwar interessanter ausgearbeitet als in so einigen anderen Vertretern des Genres, aber dies machte ihn nicht mehr sympathischer. Insgesamt hält sich die Spannung der Geschichte in Grenzen und die dramatischen Sequenzen wirken leider aufgrund der mangelhaften Technik unfreiwillig komisch. Moebius ist sicher kein schlechtes Spiel und hat mir bedeutend besser gefallen als Gray Matter, da es teilweise das alte Fakt & Fiktion-Recherche-Erlebnis eines Gabriel Knight aufkommen ließ. Aber während der Spielzeit wird man trotzdem nicht das Gefühl los, dass sich Jensen als Geschichtenerzählerin und Game-Designerin zu sehr auf alten Lob-Lorbeeren ausruht.Sascha nufafitc Pongratz

Ich hab Moebius gerne gespielt. Die Geschichte war clever und für meinen Geschmack auch spannend genug, die Rätsel einfach aber trotzdem unterhaltsam und die Charaktere interessant und gut ausgearbeitet. Die grafischen Mängel haben mich nach kurzer Zeit nicht mehr gestört, denn im Großen und Ganzen funktioniert das Spiel durch seine dichte Atmosphäre. Insofern bereue ich meine Teilnahme bei diesem Kickstarter-Projekt keinesfalls. Als man damals abstimmen konnte, welches Spiel Jane Jensen für das gesammelte Geld entwickeln sollte, habe ich allerding für Gray Matter 2 gestimmt. Denn genau wie bei Moebius empfand ich auch Gray Matter nur als Auftakt und hätte gerne gewusst, wie die Geschichte weiter geht. Jetzt habe ich gemeinsam mit Moebius gleich zwei Jensen-Titel, die mir nur wie ein Prolog erscheinen und wo ich inständig auf eine Fortsetzung hoffe. Dass Jensen bei Sequels erst so richtig aufblüht, sieht man meiner Meinung nach an Gabriel Knight 2. Wer die Grafikmängel ausblenden kann und die Mystery-Geschichten von Gabriel Knight oder Samantha Everett schon mochte, wird auch die von Malachi Rector mögen und sollte zuschlagen - und wenn es nur darum geht, genug Erfolg für eine Fortführung der Geschichte zu sichern, die zweifelsohne ähnlich episch werden könnte wie die vom legendären Schattenjäger.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • Gute Grundidee mit innovativem Plot
  • Gute Musik und Atmosphäre
  • Gute englische Synchronsprecher
  • Uninspirierte Grafik und veraltete Optik
  • Schwaches Ende
  • Repititive Minigames