Ab heute ist Virginia des US-Entwicklers Variable State auf Steam verfügbar. Dabei handelt es sich um einen interaktiven Mystery-Krimi, der aus der Ego-Perspektive gespielt wird. Wie uns der Titel gefallen hat, erfahrt ihr in unserem Test.
Der Fall eines vermissten Jungen führt die frisch gebackene FBI-Agentin Anne Tarver und ihre Kollegin Maria Halperin im Sommer 1992 in das abgelegene Dorf Kingdom im Bundesstaat Virginia. Wo Lucas Fairfax abgeblieben ist, weiß niemand so richtig und besonders kooperativ zeigt sich die einheimische Bevölkerung auch nicht. Offenbar haben die Bewohner hier nicht viel Lust, wenn sich Außenstehende in ihre Angelegenheiten einmischen. So werden anfangs verschiedene Orte nach Beweisen untersucht, bevor die Geschichte unvorhergesehene Wendungen nimmt.
Das Besondere an Virginia ist das vollständige Fehlen von Dialogen. Damit ist nicht gemeint, dass der Titel keine Sprachausgabe enthält, sondern dass die Charaktere zu keinem Zeitpunkt im Spiel miteinander sprechen. Deshalb ist es besonders wichtig, die Personen zu beobachten, um Schlussfolgerungen aus ihrer Mimik oder ihrem Verhalten zu ziehen. Es ist nicht immer leicht, die Geschehnisse direkt vollständig zu verstehen. Dazu trägt auch der Umstand bei, dass manchmal automatisch zwischen Real- und Traumsequenzen gewechselt wird, was nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich ist. Ein zweiter Spieldurchgang ergibt hier durchaus Sinn.
Ein ganz großes Plus ist die ausgezeichnete klassische Musik, die sich lückenlos durch das ganze Spiel zieht. Komponiert wurde diese von Lyndon Holland, welcher Adventurespielern bereits durch den Soundtrack von Aviary Attorney bekannt ist. Eingespielt wurden die Stücke vom Prager Philharmonieorchester im Smecky Studio in Prag, in dem seit den Vierzigern schon viele bekannte Film-Soundtracks aufgenommen wurden. Die Musik trägt großartig zur Atmosphäre des Spiels bei. Hinzu kommen gut gesetzte Soundeffekte.
Bei der Grafik setzen die Entwickler auf eine farblich gut abgestimmte 3D-Umgebung mit wenigen Polygonen. Dadurch entsteht ein ästhetischer Look, der in Nacht- oder Dämmerlichtsequenzen besonders hervorsticht. Vor allem die Außenbereiche überzeugen durch Detailreichtum. Bei den Figuren beschränkt man sich auf rudimentäre Gesichtszüge, die aber dennoch ausreichend Emotionen transportieren können. Insgesamt wirkt der Grafikstil sehr passend. Die Animationen der Spielfiguren wirken stellenweise kantig und unbeholfen, was die Atmosphäre des Spiels jedoch nicht negativ beeinflusst. Sehr gut gelungen ist die Ausleuchtung mitsamt den Schattenwürfen.
Die klassische Egoperspektive ist bereits aus anderen Adventures bekannt. Mit den WASD-Tasten kann sich der Spieler frei in der Umgebung bewegen, während die Maus zum Umschauen benutzt wird. Alle Aktionen werden mit der linken Maustaste ausgeführt. Weitere Tasten sind nicht nötig, da die Spielfigur weder rennen, springen noch sich ducken kann. Das Spiel speichert automatisch an festgelegten Punkten.
Virgina wird als interaktiver Spielfilm angeboten, was er auch ist. Zwar kann der Spieler sich oft frei bewegen, allerdings sind die Areale immer sehr eingeschränkt. Hinzu kommt, dass nicht relevante Gegenstände nicht untersucht werden können. Dadurch gibt es in den Szenen nur wenige, oft sogar nur eine Handlungsmöglichkeit. Ein Inventar wird nicht geboten. Gegenstände können zwar eingesteckt und durch Interaktion mit anderen Charakteren wieder übergeben werden, darauf hat der Spieler jedoch keinen direkten Einfluss. Die Entscheidung, welche Handlung ausgeführt wird, trifft das Spiel selbständig. Auch Szenenwechsel erfolgen automatisch, außerdem entscheidet das Spiel, wann dem Spieler die Kontrolle über die eigene Figur gegeben wird oder Spielszenen gescriptet abgespielt werden. Der Fokus liegt also eindeutig auf dem Erzählen der Geschichte und weniger auf der direkten interaktiven Handlung.
Obwohl der Einfluss, den der Spieler nehmen kann, durch die vorgegebene und teils automatisch ablaufende Handlung eingeschränkt wird, ist Virginia eine interessante Spielerfahrung. Das Spiel hat mit zwei Stunden etwa die Länge eines durchschnittlichen Spielfilms und ist vom Schnitt und der Präsentation her auch ähnlich aufgezogen. Vor allem schafft es die Story, Emotionen beim Spieler auszulösen, wozu vor allem der großartige Soundtrack beiträgt. Rätsel gibt es praktisch keine, aber Freunden von interaktiven Filmen kann der Titel ans Herz gelegt werden.
Ich habe Virginia über zwei Stunden hinweg an einem Stück durchgespielt. Die Geschichte, die irgendwie direkt aus der Feder von David Lynch stammen könnte, hat mich an den Monitor gefesselt und stellenweise auch überraschen können. Es ist sicherlich eine ungewöhnliche und durchaus gelungene Spielerfahrung. Als der Abspann über den Bildschirm lief, hatte ich ein ähnliches Gefühl wie zuletzt bei Knee Deep, welches zwar mit anderen Mitteln arbeitet, sich aber ähnlich einzigartig präsentiert.
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