Das Jahr startete mit einer enormen Überraschung: Völlig im Geheimen entwickelt, komplett unbemerkt auch in gut informierten Kreisen, und trotz expliziter Dementi erhielt Deponia einen vierten Teil. Das Spiel wurde angekündigt - und kam kurz darauf heraus. Übrigens zum Erscheinungstag als Beigabe einer DVD in einem Spielemagazin. Viele Fans und auch Branchenmitglieder beäugten diese Vorgehensweise kritisch – Titel, die auf diese Weise erscheinen, werden sehr oft als alte Brötchen vom Vortag, Schleuderware oder alte Brötchen als Schleuderware wahrgenommen. Erste offen ausgesprochene Zweifel an der langfristigen Gesundheit der Firma Daedalic wurden laut. Doch Deponia Doomsday war ein fantastischer Titel. Die an sich abgeschlossene Geschichte bekam eine absolut würdige Fortsetzung, die das fast unschaffbare Kunststück fertigbrachte, eine noch größere, noch bessere Klammer zu schließen – und dies bei einer unglaublich langen Spielzeit sowie kaum Recycling alter Szenen. Wirklich genießen konnte ich das Spiel aber nicht. Inzwischen war die Konkurrenz im Test-Bereich unter anderem durch Lets-Player und soziale Medien enorm groß. Erschien unser Test nicht vor oder nur sehr knapp nach der Veröffentlichung eines Titels, verzeichneten wir kaum noch Zugriffszahlen und die große Mühe beim Schreiben von Rezensionen lohnte sich kaum. Entsprechend arbeitete ich zum wiederholten Mal unter hohem Zeitdruck. Erschwerend kam hinzu, dass es - wie fast immer - keine Lösung zum Adventure gab, da es ja noch nicht erschienen war. Jeder Hänger kostete so wertvolle Zeit. Weil ich Deponia Doomsday beim besten Willen nicht vor dem Veröffentlichungstag durchbekam, hatte ich zumindest in der zweiten Spielehälfte Hilfe aus dem Internet. Dennoch habe ich diesen Titel als einen der anstrengendsten in Erinnerung (wenn man die schlechten Spiele außen vor lässt).
Zeitgleich begann mir unsere Benutzeroberfläche im Redaktionssystem immer mehr auf die Nerven zu gehen. Die hoffnungslos veraltete Technik war im Vergleich mit inzwischen aktuellen Systemen wie Wordpress mit den Jahren zunehmend sperriger im Umgang geworden. Besonders schlimm war das Anlegen von Features (wie etwa Artikel über den Tellerrand): Hier musste der Artikel in einer .php-Datei förmlich programmiert werden. Doch auch bei regulären Tests und Vorschauen bedeutete das Setzen des Artikels ein großer Aufwand. Neben sicherheitstechnischen Bedenken war dies einer der Gründe, weshalb schon seit längerem intensiv über einen Relaunch mit neuer Oberfläche und neuem Redaktionssystem diskutiert wurde. Das neue System sollte einfacher, sicherer und hübscher werden. Doch dafür waren neben der normalen redaktionellen Arbeit auch noch zahlreiche organisatorische Aufgaben zu erledigen, um einen Umzug vorzubereiten. All das fraß viel Zeit, neben der ohnehin schon prall gefüllten Test-Todo-Liste.
Adventure-technisch war 2016 erneut ein Jahr voller guter Indie-Adventures, gepaart mit großen Titeln. Neben dem bereits erwähnten Deponia veröffentlichte Daedalic mit einiger Verspätung Silence - The Whispered World 2. Tatsächlich gelang hier insgesamt ein zweites Mal der Spagat, eine an sich abgeschlossene Geschichte gelungen fortzusetzen, wenn auch das fertige Produkt nicht ganz aus einem Guss erschien. Technik, Grafik und Rätsel wichen zum Teil stark vom gewohnten Adventure-Standard ab und es wollte dem Titel nicht so recht gelingen, die unterschiedlichen Zielgruppen aus dem Adventure-Genre und anderen Bereichen zusammenzubringen. Mit The Devil`s Daughter führte Frogwares seine Sherlock-Holmes-Reihe fort, legte den Fokus aber so stark auf Quicktime-Events und Action, dass sich der Titel längst nicht so schön spielte, wie sein Vorgänger.
Sehr klassisch richteten sich unterdessen das fantastische Samorost 3 und Shardlight aus. Mein unangefochtener Titel des Jahres war jedoch Obduction, auf das ich sehnsüchtig gewartet hatte und das meine hohen Erwartungen sogar noch übertraf. Cyan meisterte die Herausforderung, das Gefühl der Myst-Spiele perfekt in einen modernen Titel umzusetzen. Für den Test musste ich auch diesen Titel schneller durchspielen, als mir lieb war, denn die nächsten Rezensionsexemplare warteten bereits. Event[0] war eines davon. Dieses geniale und gleichzeitig gelungene Experiment mischt Textadventure mit First-Person-3D im Weltraum und bietet je nach Spielerverhalten sogar unterschiedliche Enden. Gepaart mit einem wirklich gut ausgestatteten Text-Interpreter, der faszinierend viele Eingaben „versteht“, einer spannenden Geschichte und einer nicht stark in die Länge gezogenen Spielzeit kam hier eine echte Indie-Perle heraus. Auch das Genre des Exploration Adventures bekam einen sehr gelungenen, neuen Vertreter: Firewatch.
Obwohl es eine große Bandbreite an Spielen und Unterformen des Adventure-Genres gab, blieb es für die Entwickler sehr schwierig, in diesem Bereich viel Geld zu verdienen. Sicherlich trugen hierzu das große Überangebot durch viele kleine Indie-Titel und der schnelle Preisverfall von Spielen schon wenige Wochen nach Erscheinen bei.
Für mich war 2016 auch ein Jahr der Experimente. Ich konzipierte ein Live-Adventure für den MessengerTelegram und fasste meine Erfahrungen am Ende in einem Feature zusammen. Die Adventure-Treff-Show stellte ich aufgrund stark abnehmender Zuschauerzahlen schließlich nach zwei Jahren und 27 Folgen ein. In der letzten Ausgabe im Dezember zeigten wir ein Demo-Spiel der neu auf den Markt gekommenen Exit-Spielereihe von Kosmos, was durchaus noch einmal ein Erfolg in Sachen Klickzahlen war. Und natürlich war auf der gamescom auch noch Zeit für Fast ein Interview 2. Bis heute weiß niemand so genau, was in diesem Gespräch eigentlich passiert ist.
Zwei Monate zuvor hatte ich einen neuen Versuch für ein redaktionelles Let`s Play gestartet. Gemeinsam mit dem Autor des Spiels, Kevin Mentz, spielte ich Das Schwarze Auge: Memoria durch. Bis heute ist es meiner Meinung nach die beste Videoreihe, die ich produziert habe. Die vielen, unglaublich spannenden Einblicke durch Kevin und auch sein distanziert-selbstkritischer Umgang mit dem Spiel machen die Videos absolut sehenswert. Leider empfanden das zu dieser Zeit nur sehr wenige andere Adventure-Fans so. Schon nach wenigen Folgen lagen die Aufrufe bei weniger als 100 Zuschauen pro Folge – der große Aufwand wurde dadurch nicht gerechtfertigt. Ich hängte das Konzept der redaktionellen Let`s Plays schweren Herzens an den Nagel. Generell stellte ich mir häufiger die Frage, ob sich der große Aufwand für den Treff für doch vergleichsweise wenig Nutzer in dieser Form so noch lohnte. Zwar schrieb ich Testartikel hinter Testartikel und deckte so auch Titel ab, die abseits des Mainstreams lagen, doch immer häufiger stand eine 0 bei den Kommentaren und die Zugriffszahlen auf die Texte waren ebenso ernüchternd. Nichtsdestotrotz gelang es uns durch die gute Zusammenarbeit im Team, ganze 37 Tests zu Adventures in diesem Jahr zu veröffentlichen. Hinzu kamen sechs Features zu Live Games und die erwähnten Video-Specials. Außerdem stand der Relaunch kurz bevor. Was für ein Jahr!
Hans Pieper
Adventure-Treff-Verein
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